Die Brücken Der Freiheit: Roman
britischen Waren mehr zu importieren. Wenn die Virginier echten Druck auf die Regierung in London ausüben wollten, müßten sie genau das gleiche tun.
Wenn ich je eine verräterische Rede gehört habe, dann diese hier, dachte Jay wütend.
Falls Washington sich mit seinem Vorschlag durchsetzte, würden Sir George Jamissons Geschäfte weiter zurückgehen. Jays Vater transportierte ja nicht nur Sträflinge in die Kolonien, sondern auch Tee, Möbel, Taue und Maschinen sowie eine Fülle von Luxusgütern und Fertigwaren unterschiedlichster Art. Das Handelsvolumen mit dem Norden war bereits auf einen Bruchteil seines einstigen Umfangs geschrumpft, weshalb Sir Georges Unternehmen im vergangenen Jahr in eine kritische Lage geraten war.
Nicht alle Anwesenden stimmten Washington zu. Einige Abgeordnete wiesen darauf hin, daß die Kolonien im Norden stärker industrialisiert waren und viele lebenswichtige Güter selbst herstellen konnten, während der Süden nach wie vor auf Importe angewiesen war. Was sollen wir machen, wenn uns Nähgarn und Tuch ausgehen, fragten sie.
Washington erwiderte, man könne bestimmte Ausnahmen zulassen. Die Versammlung ging nun in die Einzelheiten: Irgend jemand schlug vor, das Schlachten von Lämmern zu verbieten, um die Wollproduktion in der Kolonie anzukurbeln. Kurz darauf regte Washington an, die Ausarbeitung der technischen Details einem kleineren Ausschuß zu überlassen. Sein Vorschlag fand Zustimmung, und man schritt zur Wahl der Ausschußmitglieder.
Jay verließ das Hinterzimmer der Schenke in heller Empörung. Im Flur kam Lennox auf ihn zu. Er hatte eine Nachricht von Murchman. Der Anwalt war zurückgekehrt und hatte Jays Notiz gelesen; es sei ihm eine Ehre, schrieb er, Mr. Jamisson am nächsten Morgen um neun empfangen zu dürfen.
Die politische Krise hatte Jay nur vorübergehend von seinen persönlichen Sorgen abgelenkt. Er tat die ganze Nacht kein Auge zu. In Gedanken verfluchte er mal seinen Vater, weil der ihm eine unrentable Pflanzung überlassen hatte, und mal Lennox, weil er die Felder überdüngt hatte. Dann dachte er: Vielleicht war an meiner Ernte gar nichts auszusetzen, und die Inspektoren haben sie nur verbrennen lassen, weil sie mich für meine Loyalität zur Krone bestrafen wollten. Unruhig wälzte er sich hin und her und argwöhnte schließlich sogar, Lizzie habe ihr Kind absichtlich tot geboren, um ihm eins auszuwischen.
Schon vor der Zeit stand er vor Murchmans Haus. Er hatte nur noch eine Chance. Egal, was im einzelnen vorgefallen war es war ihm nicht gelungen, aus der Pflanzung einen profitablen Betrieb zu machen. Wenn er es jetzt nicht schaffte, neue Kredite aufzutreiben, würden seine Gläubiger die Hypothek für verfallen erklären, und er wäre nicht nur völlig mittellos, sondern hätte nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf.
Murchman wirkte nervös. »Ich habe Ihren Gläubiger hergebeten, damit Sie persönlich mit ihm sprechen können«, sagte er.
»Gläubiger? Sie sagten doch etwas von einem Syndikat.«
»Ja, in der Tat - eine kleine Unwahrheit, wie ich gestehen muß. Es tut mir leid. Die Person wünschte anonym zu bleiben.«
»Und was veranlaßt die Person jetzt, ihr Inkognito zu lüften?«
»Das… das vermag ich nicht zu sagen.«
»Wie dem auch sei - offenbar scheint sie bereit zu sein, mir die erforderliche Summe zu leihen. Warum sollte sie sonst auf eine persönliche Begegnung Wert legen?«
»Ich könnte mir denken, daß Ihre Vermutung korrekt ist aber der Herr hat mir seine Beweggründe nicht anvertraut.«
Jay hörte ein Klopfen an der Eingangstür. Kurz darauf waren leise Stimmen zu vernehmen; ein Besucher wurde eingelassen.
»Um wen handelt es sich?«
»Ich denke, er sollte sich am besten selbst vorstellen.«
Die Tür ging auf, und Jays Bruder Robert betrat die Kanzlei.
Jay fuhr überrascht von seinem Sessel auf. »Du?« fragte er. »Seit wann bist du denn hier?«
»Seit ein paar Tagen«, sagte Robert.
Jay streckte ihm die Hand entgegen, und Robert drückte sie kurz. Ein knappes Jahr war vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Robert wurde ihrem gemeinsamen Vater immer ähnlicher: feist, übellaunig und kurz angebunden.
»Dann hast du mir also das Geld geliehen?« fragte Jay.
»Nein, es war Vater«, antwortete Robert.
»Gott sei Dank! Ich hatte schon die Befürchtung, irgendein Unbekannter würde sich weigern, mir noch einmal auszuhelfen.«
»Vater ist allerdings nicht mehr dein Gläubiger«, sagte Robert.
Weitere Kostenlose Bücher