Die Brücken Der Freiheit: Roman
anderen Stelle. Lizzie war fest entschlossen, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, und achtete darauf, daß ihre Stimme so normal wie möglich klang.
»Und wenn er Grubengas feststellt - was dann? Wie wird man es wieder los?«
»Man zündet es an.«
Lizzie schluckte. Das wird ja immer schlimmer, dachte sie.
»Ein Kumpel ist für die Feuerüberwachung zuständig. In dieser Grube ist es, glaube ich, McAsh, der junge Unruhestifter. Die Aufgabe wird meistens vom Vater auf den Sohn vererbt. Der Feuermann ist der Gasfachmann der Grube. Er weiß, was zu tun ist.«
Lizzie hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht, um so schnell wie möglich wieder aus der Grube herauszukommen.
Das einzige, was sie davon abhielt, war die Schmach, die es bedeutet hätte, wenn Jay sie hier unten in Panik davonrennen sähe. Um wenigstens vo n diesem hanebüchen gefährlichen Gastest fortzukommen, deutete sie in einen Seitenstollen und fragte: »Was ist denn da unten?«
Jay nahm sie wieder bei der Hand. »Sehen wir's uns doch einfach mal an.«
Alle Geräusche in der Grube klangen merkwürdig gedämpft. Es wurde nicht viel gesprochen. Einige Hauer hatten eine jugendliche Hilfskraft bei sich, doch die meisten arbeiteten allein, und die Träger waren noch nicht da. Die Wände und die dicke Staubschicht auf dem Boden erstickten das Geräusch der Spitzhacken und das Gepolter der herausbrechenden Kohlebrocken. Immer wieder mußten sie durch Türen, die hinter ihnen von einem kleinen Jungen geschlossen wurden. Die Türen kontrollierten die Luftzirkulation in den Stollen, erklärte Jay.
Sie waren in einen verlassenen Teil des Bergwerks geraten, und Jay blieb stehen. »Dieser Abschnitt ist offenbar schon ausgeräumt«, sagte er und schwenkte seine Laterne im Bogen. Das schwache Licht wurde am Rande des Kreises in winzigen Rattenaugen reflektiert. Die Tiere ernährten sich zweifellos von den Überresten aus den Henkelmännern der Bergarbeiter.
Lizzie bemerkte, daß Jays Gesicht rußgeschwärzt war und sich nicht mehr von dem eines Kumpels unterschied. Der Kohlestaub durchdrang alles. Er sah so komisch aus, daß sie unwillkürlich lächeln mußte.
»Was ist?« fragte er.
»Ihr Gesicht ist schwarz!«
Er grinste und fuhr ihr mit der Zeigefingerspitze über die
Wange. »Und Ihres? Was glauben Sie?« »O nein!« Sie begriff, daß sie genauso aussehen mußte wie er, und lachte.
»Sie sind immer noch bildhübsch«, sagte Jay und küßte sie.
Lizzie war überrascht, verzog aber keine Miene: Es gefiel ihr.
Seine Lippen waren fest und trocken, und sie spürte eine leichte Rauheit über seiner Oberlippe, wo er sich rasiert hatte.
Als Jay sie wieder freigab, fragte sie ihn das erstbeste, was ihr einfiel: »Haben Sie mich deshalb hierher gebracht?«
»Sind Sie mir böse?«
Eine Dame zu küssen, die nicht seine Braut war, gehörte sich gewiß nicht für einen jungen Herrn aus besseren Kreisen. Ja, dachte sie, ich sollte ihm eigentlich böse sein… Aber es hatte ihr gefallen. Lizzie schämte sich plötzlich ein wenig. »Vielleicht sollten wir jetzt lieber zurückgehen«, sagte sie.
»Darf ich wieder Ihre Hand halten?«
»Aber ja.«
Das schien ihm zu genügen. Er führte sie zurück. Ein Weilchen später erkannte sie den Felsen wieder, auf dem sie zuvor gesessen hatte. Sie blieben stehen und sahen einem Hauer bei der Arbeit zu. Lizzie mußte an den Kuß denken, und ein Schauer der Erregung fuhr durch ihre Lenden.
Der Kumpel hatte seine Strecke unterhöhlt und war gerade dabei, Keile in die Flözwand darüber zu schlagen. Wie die meisten seiner Gefährten arbeitete er mit nacktem Oberkörper, so daß man, wenn er den Hammer schwang, das Spiel der kräftigen Muskeln auf seinem Rücken sehen konnte. Die Kohle, der unten jetzt die Auflage fehlte, zerbrach schließlich unter ihrem eigenen Gewicht und stürzte in großen Klumpen zu Boden. Der Hauer trat rasch einen Schritt zurück. Quietschend und bebend stellte sich die neue Abbruchfläche auf die veränderten Druckverhältnisse ein. Es knackte und knirschte, und kleine Splitter flogen in alle Richtungen.
Inzwischen erschienen, mit Kerzen und großen Holzschaufeln bewaffnet, auch die ersten Träger an ihren Arbeitsplätzen unter Tage. Und nun erlebte Lizzie ihren bislang größten Schreck.
Die Träger waren zum allergrößten Teil Trägerinnen.
Nie hatte Elizabeth Hallim sich in ihrem bisherigen Leben gefragt, wie die Frauen und Töchter der Bergarbeiter ihre Zeit verbrachten, und
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