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Die Brücken Der Freiheit: Roman

Die Brücken Der Freiheit: Roman

Titel: Die Brücken Der Freiheit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nie wäre sie auf die Idee gekommen, daß auch sie den ganzen Tag und die halbe Nacht in der Grube schufteten.
    In den Stollen wurde es merklich lauter, und die Luft erwärmte sich schnell, so daß Lizzie sich nach kurzer Zeit veranlaßt sah, ihre Jacke zu öffnen. Bei der herrschenden Dunkelheit merkten die meisten Frauen gar nicht, daß zwei Besucher unter ihnen weilten, und unterhielten sich völlig ungehemmt. Direkt vor Lizzie und Jay stieß ein älterer Mann mit einer Frau zusammen, die aussah, als wäre sie schwanger.
    »Paß doch auf, wo du hinlatschst, verdammtes Weibsbild!« schnauzte der Mann sie an.
    »Paß selber auf, du blinder Schwanz!« gab die Frau zurück.
    »Ein Schwanz ist nicht blind, sondern einäugig!« rief eine zweite Frau, und alle lachten derb.
    Lizzie erschrak. In der Welt, in der sie lebte, sagte keine Frau »verdammt«. Und was ein »blinder Schwanz« war, konnte sie allenfalls ahnen. Es verblüffte sie allemal, daß diese Frauen, die um zwei Uhr morgens einen fünfzehnstündigen Arbeitstag unter Tage antraten, überhaupt noch über etwas lachen konnten.
    Sie war seltsam angespannt und durcheinander. Alles hier unten war so körperlich und sinnlich: die Dunkelheit, das Händchenhalten mit Jay, die halbnackten Hauer bei der Arbeit, Jays Kuß, der vulgäre Humor der Frauen. Es irritierte sie - und war auf der anderen Seite aufregend, ja erregend. Ihr Puls ging schneller als sonst, ihre Haut war heiß, und ihr Herz raste.
    Allmählich verstummte das Stimmengewirr, und die Trägerinnen machten sich an die Arbeit. Sie schaufelten die frisch gebrochene Kohle in große Körbe.
    »Warum ist das Frauenarbeit?« fragte Lizzie ungläubig ihren Begleiter.
    »Ein Kumpel wird nach dem Gewicht der Kohle bezahlt, die er am Schachteingang abliefert«, erklärte Jay. »Wenn er einen eigenen Träger bezahlen muß, ist dessen Geld für die Familie des Hauers verloren. Er läßt also seine Frau und seine Kinder als Träger mitarbeiten, damit er die volle Summe behalten kann.«
    Es dauerte nicht lange, und die ersten Körbe waren gefüllt. Lizzie beobachtete, wie zwei Frauen mit vereinten Kräften einer dritten den schweren Korb auf den gebeugten Rücken wuchteten. Die Beladene stöhnte unter dem Gewicht. Der Korb wurde mit einem Riemen gesichert, den man ihr um die Stirn schlang, und dann machte sich die Trägerin langsam auf den Weg durch den Stollen. An vielen Stellen mußte sie sich doppelt so tief niederkauern wie jemand ohne Traglast.
    Lizzie fragte sich, wie die Frau die steile, fünfundsechzig Meter hohe Treppe hinaufkommen sollte. »Ist der Korb wirklich so schwer, wie er aussieht?« fragte sie.
    Einer der Bergarbeiter hatte die Frage gehört. »Ein solcher Korb faßt ungefähr hundertvierzig Pfund Kohle. Wollen Sie mal anheben, junger Herr?«
    Jay kam Lizzie mit der Antwort zuvor. »Nein, gewiß nicht«, sagte er vorbeugend.
    Doch der Hauer gab sich nicht so schnell geschlagen. »Dann probieren Sie's doch mal mit einem leichteren - so einem, wie ihn diese halbe Portion da trägt.«
    Ein Mädchen von vielleicht zehn oder elf Jahren - es trug ein schlichtes Wollkleid und ein Kopftuch - kam auf sie zu. Auf ihrem Rücken schleppte die Kleine einen halbvollen Kohlekorb.
    Lizzie sah, daß Jay bereits den Mund öffnete, um das Angebot des Hauers abzulehnen, doch diesmal war sie schneller. »Ja, bitte«, sagte sie. »Lassen Sie mich mal heben!«
    Der Kumpel hielt das Mädchen an, und eine seiner Trägerinnen hob ihm den Korb von den Schultern. Das Kind sagte nichts, schien aber über die unerwartete Pause nicht unglücklich zu sein. Sein Atem ging schwer.
    »Bücken Sie sich, Mister!« sagte der Bergmann, und Lizzie gehorchte. Die Trägerin schwang den Korb auf ihren Rücken.
    Obwohl sie auf einiges gefaßt war, erwies sich der Korb als erheblich schwerer, als Lizzie gedacht hatte. Sie konnte das Gewicht keine Sekunde tragen. Ihre Beine gaben nach, und sie brach zusammen. Der Kumpel hatte offenbar damit gerechnet und fing sie auf, während die Trägerin sie wieder von der schweren Last befreite.
    Die anderen Frauen im Umkreis lachten gellend auf. Das Mißgeschick des jungen Herrn bereitete ihnen offenbar großes Vergnügen. Lizzie spürte unterdessen, wie sich eine schwielige Hand, hart wie ein Pferdehuf, über dem Leinenhemd an ihre rechte Brust preßte. Der Hauer, der sie mit seinem starken Unterarm aufgefangen hatte, räusperte sich überrascht. Die Hand faßte noch einmal nach, als wolle sie sich

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