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Die Brücken Der Freiheit: Roman

Die Brücken Der Freiheit: Roman

Titel: Die Brücken Der Freiheit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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küßte sie. Die kleine Galanterie gefiel Lizzie.
    Er gab ihre Hand auch nicht wieder frei, als er sich wieder nach vorne wandte und seine Begleiterin tiefer in den Stollen hineinführte. Lizzie wußte nicht recht, was sie davon halten sollte, hatte jedoch keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn der Weg erforderte ihre volle Aufmerksamkeit. Sie stapfte durch dicke Schichten Kohlestaub, der allgegenwärtig war und auch die Luft erfüllte. Die Stollendecke war niedrig, stellenweise sogar sehr niedrig. Sie mußten daher stets gebückt gehen. Allmählich wurde Elizabeth Hallim klar, daß ihr eine sehr unbequeme Nacht bevorstand.
    Sie versuchte, ihr Unbehagen zu ignorieren. Auf beiden Seiten des Stollens flackerte jetzt in Nischen zwischen breiten Säulen Kerzenlicht und erinnerte Lizzie an einen Mitternachtsgottesdienst im Dom.
    »Jeder Kumpel bearbeitet einen knapp vier Meter langen Abschnitt, den man als ›Strecke‹ bezeichnet«, erklärte Jay.
    »Zwischen den Strecken lassen sie jeweils eine ungefähr sechzehn Quadratfuß breite Kohlesäule stehen, welche die Decke stützt.«
    Erst jetzt machte Lizzie sich klar, daß sich über ihren Köpfen fünfundsechzig Meter Erde und Felsen türmten, die, falls die Bergleute nicht ordentlich gearbeitet hatten, jederzeit auf sie herabstürzen konnten. Ein Anfall von Panik drohte sie zu überwältigen, doch es gelang ihr, ihn niederzukämpfen. Unwillkürlich drückte sie Jays Hand, und er erwiderte den Druck. Von nun an war ihr durchaus bewußt, daß sie einander an der Hand hielten, und sie gestand sich ein, daß sie überhaupt nichts dagegen hatte.
    Die ersten Strecken, an denen sie vorbeikamen, waren leer, also vermutlich bereits ausgebeutet. Dann jedoch erreichten sie eine Stelle, wo ein Mann Kohle schürfte. Zu Lizzies Überraschung stand der Kumpel nicht auf seinen zwei Beinen, sondern bearbeitete die Kohleader auf der Seite liegend in Fußhöhe. Eine Kerze in einem hölzernen Halter warf ein flackerndes Licht auf seinen Arbeitsplatz, und trotz seiner unbequemen Lage schwang er die Picke kraftvoll. Mit jedem Schlag hieb er die Spitze tiefer in die Kohle hinein und hebelte große Brocken heraus. Als Lizzie näher hinsah, erkannte sie zu ihrem Schrecken, daß der Mann in einem fließenden Rinnsal lag, das aus der Kohle sickerte und sich in den kleinen Abflußgraben im Hauptstollen ergoß. Sie tauchte die Finger ins Wasser. Es war eiskalt. Lizzie schauderte. Doch der Kumpel hatte seinen Mantel abgelegt und arbeitete barfuß und mit freiem Oberkörper. Auf seinen rußschwarzen Schultern waren Schweißperlen zu erkennen.
    Der Stollen war nicht eben, sondern paßte sich, wie Lizzie vermutete, dem natürlichen Auf und Ab der kohleführenden Schicht an. Jetzt begann ein ziemlich steiler Anstieg. Jay blieb stehen und deutete nach vorn, wo ein Kumpel mit einer Kerze hantierte, und sagte: »Er überprüft den Stollen auf Grubengas.«
    Lizzie ließ seine Hand los und setzte sich auf einen Felsen, um ihren durch die gebückte Haltung strapazierten Rücken ein wenig zu entlasten.
    »Wie geht es Ihnen?« fragte Jay.
    »Danke, gut. Was ist ›Grubengas‹?«
    »Ein leicht entzündbares Gas.«
    »Leicht entzündbar?«
    »Ja. Es ist die Hauptursache für ›schlagende Wetter‹. Das sind Explosionen in Kohlebergwerken.«
    Lizzie kam das komisch vor. »Warum benützt er eine Kerze, wenn das Gas explosiv ist?«
    »Anders kann man es nicht entdecken. Es ist unsichtbar und geruchlos.«
    Der Kumpel hob die Kerze langsam bis an die Stollendecke und beobachtete konzentriert die Flamme.
    »Das Gas ist leichter als Luft, deshalb sammelt es sich unter der Decke«, fuhr Jay fort. »Bei einer geringen Menge bildet sich  um die Flamme herum ein blauer Ring.«
    »Und wenn es mehr ist?«
    »Dann bläst es uns alle ins Jenseits.«
    Lizzie hatte das Gefühl, der letzte Strohhalm schwimme ihr davon. Sie war schmutzig, hatte den Mund voller Kohlestaub und nun mußte sie auch noch erfahren, daß sie jederzeit einer Explosion zum Opfer fallen konnte! Bleib ruhig, sagte sie sich, verlier jetzt bloß nicht die Nerven! Daß die Arbeit im Kohlebergwerk ein gefährliches Gewerbe ist, hast du vorher gewußt. Also reiß dich zusammen. Die Kumpels kommen jede Nacht hierher - dann wirst du diesen einen Besuch wohl auch überstehen…
    Aber ein zweites Mal bringt mich kein Mensch mehr hier herunter…
    Sie sahen dem Mann mit der Kerze zu. Er ging ein paar Schritte weiter und wiederholte den Test an einer

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