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Die Brücken Der Freiheit: Roman

Die Brücken Der Freiheit: Roman

Titel: Die Brücken Der Freiheit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Trab verfielen. Der Karren wurde unter den Verurteilten fortgezogen, so daß sie, einer nach dem anderen ins Bodenlose stürzten: zuerst der ohnehin schon halbtote Betrunkene, dann die beiden Iren, der weinende Junge und zuletzt die Frau, deren Gebet mitten im Satz abbrach.
    Beim Anblick der fünf Körper, die vor ihr an den Henkerstricken baumelten, empfand Lizzie eine abgrundtiefe Verachtung für sich selbst und die gaffende Menge um sich herum.
    Sie waren noch nicht alle tot. Dem Jungen blieb Gott sei Dank ein längeres Leiden erspart; sein Hals war beim Fall offenbar sofort gebrochen. Auch die beiden Iren rührten sich nicht mehr. Der Betrunkene aber zappelte noch, ebenso wie die Frau, der obendrein die Augenbinde heruntergerutscht war. Während sie langsam erstickte, starrten ihre vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen in die Menge.
    Lizzie barg ihr Gesicht an Jays Schulter.
    Am liebsten wäre sie davongelaufen, doch sie zwang sich zum Bleiben. Du hast es ja unbedingt sehen wollen, schalt sie  sich, also halte auch bis zum Ende durch!
    Sie schlug die Augen wieder auf.
    Der Betrunkene war tot. Das Gesicht der Frau war jedoch von grausamem Schmerz gezeichnet und verzerrt. Den Zuschauern, auch den abgebrühtesten, war das Grölen vergangen; der entsetzliche Todeskampf vor ihren Augen hatte sie zum Schweigen gebracht. Einige Minuten vergingen.
    Endlich schlossen sich die Augen der Gehenkten.
    Der Sheriff wollte die Toten gerade herunterschneiden, als ein Tumult ausbrach.
    Die irischen Zuschauer sprangen vor und versuchten, an den Wachen vorbei, das Schafott zu stürmen. Die Konstabler versuchten, sie daran zu hindern, und wurden dabei von den Spießträgern unterstützt, die mit ihren Piken auf die Iren einstachen. Schon floß das erste Blut.
    »Das habe ich befürchtet«, sagte Jay. »Sie wollen verhindern, daß die Leichen ihrer Freunde in die Hände der Chirurgen fallen. Sehen wir zu, daß wir schleunigst hier fortkommen!«
    Viele Umstehende hatten die gleiche Idee, während die Menge hinter ihnen neugierig vorwärtsdrängte. In dem entstehenden Durcheinander kam es rasch zu tätlichen Auseinandersetzungen. Jay versuchte, sich mit Gewalt aus dem Gedränge zu befreien, und Lizzie hielt sich dicht hinter ihm. Doch in der Menschenmasse, die ihnen, einer Woge gleich, entgegenkam, gab es keine Lücke. Alles rief und schrie durcheinander. Lizzie und Jay wurden wieder in Richtung Galgen zurückgedrängt. Die Iren hatten das Schafott inzwischen gestürmt. Einige von ihnen wehrten die Konstabler ab, andere duckten sich vor den Piken, wieder andere versuchten, die Leichen ihrer hingerichteten Freunde vom Galgen zu schneiden.
    Dann ließ das heftige Gedränge um Lizzie und Jay ohne ersichtlichen Grund plötzlich nach. Lizzie drehte sich um und erblickte zwischen zwei großen, derben Mannsbildern eine Lücke. »Jay, komm, hier entlang!« rief sie, drehte sich noch einmal nach ihm um, um sicher zu sein, daß er ihr auch folgte, und rannte los. Doch kaum war sie hindurchgeschlüpft, schloß sich die Lücke wieder, und als Jay sich durchzwängen wollte, hob einer der Männer drohend die Hand. Jay zuckte erschrocken zusammen und trat einen Schritt zurück. Sein Zögern erwies sich als fatal: Sie waren jetzt voneinander getrennt. Lizzie sah seinen blonden Schopf aus der Menge herausragen und versuchte, wieder zu ihm zurückzugelangen, doch eine Menschenmauer versperrte ihr den Weg. »Jay!« schrie sie. »Jay!« Er rief ihr etwas zu, aber die Menge zwang sie immer weiter auseinander. Jay wurde zur Tyburn Street hin abgedrängt, Lizzie genau entgegengesetzt zum Park hin. Sekunden später konnte sie ihn schon nicht mehr sehen.
    Jetzt war sie völlig auf sich allein gestellt. Sie biß die Zähne zusammen, kehrte dem Schafott den Rücken zu und suchte nach einem Ausweg, aber die Menge war so dicht gedrängt, daß es nirgends ein Durchkommen gab. Sie versuchte, sich zwischen einem kleinen Mann und einer vollbusigen Matrone hindurchzuquetschen. »Pfoten weg, junger Mann!« rief die dicke Frau, doch Lizzie ließ nicht locker, schaffte es und probierte es gleich noch einmal. Diesmal stand ihr ein Mann mit griesgrämiger Miene im Weg. Sie trat ihm auf die Zehen und erhielt einen Fausthieb in die Rippen. Der Schmerz nahm ihr fast die Luft, aber sie gab nicht auf.
    Dann sah sie plötzlich ein bekanntes Gesicht und erkannte McAsh. Auch er versuchte, sich aus dem Gedränge zu befreien. »Hallo, Mack!« rief sie freudig. In seiner Begleitung

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