Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
sehr, Sie zu sehen, Herr Diplomingenieur«, begrüßte ihn der Richter, nachdem der Donner verklungen war. »Mir ist nicht entgangen, dass Ihnen im Gerichtssaal nicht recht wohl in Ihrer Haut war. Wir haben also das eine oder andere zu besprechen. Aber, was meinen Sie, sollten wir nicht zuerst etwas zu essen bestellen?«
Oscar murmelte zustimmend, und der Kellner, der, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer geblieben war, nahm ihre Bestellung entgegen. Kalbshaxe mit Kohlrübenpüree und bayerisches Bier für Dr. Goldmann, dasselbe Bier, aber gebratener Thunfisch für Oscar. Wenn er an der Küste war, aß er jeden Tag Fisch, Fleisch bekam er im Busch mehr als genug.
»Dieser Leutnant Vortisch, der Ihnen solchen Ärger gemacht hat …«, begann Dr. Goldmann nachdenklich, »wird sicher einmal ein ganz ausgezeichneter Richter oder Anwalt. Schade nur, dass er bei der Schutztruppe ist. Wir Pioniere hier in der Barbarei könnten mehr Leute wie ihn gebrauchen.«
»Sie müssen entschuldigen, Dr. Goldmann, aber von Jura verstehe ich nichts«, antwortete Oscar reserviert. Für Leutnant Vortisch hatte er nichts übrig.
Der alte Professor betrachtete ihn mit unergründlicher Miene, während er sich umständlich und ächzend eine große
weiße Serviette umband. Sein Bauch zwang ihn dazu, ein Stück vom Tisch entfernt zu sitzen, sodass zwischen Teller und Mund ein großer Abstand war, was ein Abenteuer bei der Essensaufnahme darstellte.
»Sie haben den Gerichtssaal verlassen, ohne sich das Plädoyer anzuhören, Herr Diplomingenieur. Wollen Sie nicht wissen, wie es gelaufen ist?«, fragte der Richter fast treuherzig.
»Natürlich will ich wissen, wie es gelaufen ist …«, antwortete Oscar. »Aber ehrlich gesagt war mir, genau wie Sie sagen, nicht ganz wohl in meiner Haut, obwohl ich nicht recht weiß, warum. Vielleicht kam ich mir ganz einfach dumm vor.«
»Dazu haben Sie nun wirklich keinen Grund. Ihre Aufgabe war es, die Wahrheit zu sagen, und das ist Ihnen ganz famos gelungen. Aber jetzt will ich Ihnen doch erzählen, was weiter geschehen ist, denn ich finde, dass Sie das wissen sollten. Schließlich haben Sie diesen Prozess ausgelöst.«
»Indem ich die Gefangenen am Leben gelassen habe?«
»Genau …«
Dr. Goldmann wurde unterbrochen, als er gerade zu einem längeren Vortrag ansetzte. Zwei Kellner brachten Essen und Bier, eine gigantische Portion Kalbshaxe mit Kohlrübenpüree und eine ebenfalls große Portion gebratenes Thunfischfilet.
Die Höflichkeit verlangte, mit dem Essen anzufangen, ehe die Vorlesung beginnen konnte. Oscar erhielt einen kurzen, ihm sehr genehmen Aufschub. Der Thunfisch war fangfrisch, vielleicht ja sogar aus seinem Fang. Dr. Goldmann aß rasch und energisch, dann wurde er langsamer, um gleichzeitig essen und seinen Vortrag halten zu können.
Er begann mit einer erneuten Eloge auf Leutnant Vortisch, der sicher mal ein ausgezeichneter und hier im wilden Osten händeringend benötigter Anwalt werden könne. Oscar fand diese Einleitung ziemlich ernüchternd, aber bald wurde sein Interesse von der Begeisterung und Eloquenz des alten Juristen geweckt. Dr. Goldmann unterstrich seine Ausführungen durch lebhafte Gesten mit Messer und Gabel. Er schien seine Argumente mit kleinen Stücken Kalbshaxe auf der einen Seite des Tellers und kleinen Häuflein Püree auf der anderen zu ordnen. Dann arbeitete er seine Portion systematisch ab. Jedes Mal, wenn er zum Kauen innehielt, entstand eine Pause zum Nachdenken.
Die Verteidigung hatte hoch gepokert, indem sie Freispruch für die Straußenfedermänner gefordert hatte. Die Argumentation war so einfach wie logisch. Sie hatten keine Waffen getragen, deswegen hatten sie sich nach deutschem Recht auch nicht des Mordversuchs schuldig gemacht. Ihr Versuch, mit magischen Straußenfedern zu töten, war untauglich und blieb deswegen straffrei, da objektiv zu konstatieren war, dass Straußenfedern und Zauberei der Mannschaft im Eisenbahnerlager nichts anhaben konnten.
Dr. Goldmann schob ein großes Stück Kalbshaxe in den Mund.
Die anderen vier Angeklagten hatten sich, so sah das auch die Verteidigung, des Mordversuchs schuldig gemacht. Speere seien ohne Zweifel lebensgefährliche Waffen, fuhr Dr. Goldmann fort. Wegen Mordes könnten sie jedoch nicht angeklagt werden, denn was die Morde bei der Missionsstation anginge, gab es etwa hundert Verdächtige,
von denen über neunzig Prozent tot seien. Und es gab keine Beweise, dass ausgerechnet die vier Angeklagten
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