Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Entschließung wird des Gedankens Blässe angekränkelt , dachte er. Skakespeare hatte ihm zwei Winter lang Gesellschaft
geleistet, bevor in Finse das Hotel eröffnet worden war und die Abende geselliger geworden waren.
Als er die Frage, ob er es den Kollegen erzählen sollte oder nicht, einige Male hin und her gewendet hatte, fiel ihm eine einfache Testfrage ein. Wenn Ole Guttormsen eines Abends freudestrahlend ins Ingenieurshaus zurückkehren und ihm erzählen würde, was er nun erzählen wollte, könnte er sich dann aufrichtig mit Ole freuen?
Aber sicher doch, dachte er zuerst, zog seine reflexmäßige Antwort aber sofort in Zweifel. Neid war eine Todsünde, kein Mensch wollte sich Neid nachsagen lassen. Deswegen würde jeder diese Frage mit »aber sicher doch« beantworten.
Er beschloss zu schweigen.
Seine moralischen Grübeleien erwiesen sich als bedeutungslos, als er in Hallingskeid das Haus betrat. Beide Kollegen diskutierten wild und mit vor Aufregung geröteten Gesichtern und tranken Whisky. Lauritz hatte kaum Zeit, sich die Schuhe abzutreten, da stürzten sie schon durcheinanderredend auf ihn zu. Der eine faselte, Norwegen sei endlich frei, der andere von Revolution und Krieg.
Nachdem Lauritz am Tisch Platz genommen und ein großes Glas Whisky eingeschenkt bekommen hatte – laut Berner sollte der Whisky den nicht vorhandenen Champagner ersetzen –, gelang es ihm endlich, der Sache halbwegs auf den Grund zu gehen. Die Generaldirektion hatte angerufen.
Das Storting hatte beschlossen, die Union mit Schweden aufzulösen. Norwegen war damit in jeder Hinsicht ein souveräner Staat. Die Generaldirektion hatte mitgeteilt, dass von nun an keine Schweden mehr beschäftigt werden dürften.
Im gleichen Atemzug hatte man etwas widersprüchlich darauf hingewiesen, dass die bereits eingestellten Schweden weiterbeschäftigt werden würden. Auf der gesamten Strecke handelte es sich um etwa hundert Männer.
Die Anweisung von der Generaldirektion hatte so spät im Jahr keine praktischen Konsequenzen, da alle Neuanstellungen bis Weihnachten oder zumindest bis zu den ersten Winterstürmen bereits erfolgt waren.
Das Thema Krieg und Revolution, das seine beiden Kollegen so aufgeregt diskutierten, hielt Lauritz für übertriebene Spekulationen. Berner glaubte, dass sich die Schweden nie mit dem Beschluss des Stortings abfinden, sondern sofort mit ihrer Armee angreifen würden. Und dann würde es laut Ole Guttormsen zur Revolution kommen.
»Das bezweifle ich sehr«, meinte Lauritz gelassen. »Wir leben schließlich im zwanzigsten Jahrhundert, im Jahrhundert der großen Fortschritte. Krieg gehört auf den Kehrichthaufen der Geschichte, nicht einmal die Schweden ziehen jetzt noch in den Krieg. Und was die Revolution betrifft: Glaubt ihr etwa, dass sie auf der Karl Johan Gate eine Guillotine aufstellen?«
Lauritz ließ sich von der Aufregung der anderen nicht anstecken. Schweden und Norwegen waren bis zum Beschluss des Stortings an diesem Tag eine Union gewesen, was jedoch nicht bedeutet hatte, dass Norwegen den Schweden gehört hatte. Norwegen war ein Land, und die Norweger waren seit tausend Jahren ein Volk mit einer eigenen Sprache. Wenn sich die eine Hälfte trennen wollte, was konnte die andere Hälfte dann schon unternehmen? Jedenfalls konnten die Schweden nicht in den Krieg ziehen.
Dieser und ähnliche nüchterne Einwände erweckten bei
den Kollegen Zweifel an Lauritz’ Patriotismus. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als auf das freie Norwegen zu trinken. Dann versuchte er, von seiner Unbedachtsamkeit abzulenken.
»Jetzt haben wir also keinen König mehr«, sagte er gespielt nachdenklich. »König Oscar muss sich damit begnügen, Schweden zu regieren. Aber was wird aus uns? Sollen wir uns einen neuen König suchen? Und wie soll das zugehen?«
Olav Berner meinte, man könne auf genealogischem Wege einen König bestimmen. Man könne jemanden ausfindig machen, der direkt vom letzten norwegischen König, wer auch immer das gewesen sei, abstamme. Ole Guttormsen fand, dass ein König auf dem Thing gewählt werden müsse, wie die Vorväter das getan hätten.
Es gab eine längere Diskussion. Wieder tranken sie einige Male auf das Wohl Norwegens und leerten dabei fast eine zweite Flasche. Schließlich konnte Lauritz sich entschuldigen und ins Büro zurückziehen, ohne unpatriotisch zu wirken. Die Post des Tages hatte einen Brief von Ingeborg enthalten.
In der Tat lag dieser Brief neben einer deutschen
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