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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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in diesem zwanzigsten Jahrhundert prägen wird, bedeutet für die Menschheit in einer ganz bestimmten Hinsicht eine größere Segnung als alles andere.
    Kriegsführung wird nicht mehr als adäquates Mittel zur Lösung politischer Probleme infrage kommen. In einer Welt, die technisch so avanciert ist wie die, an deren Erschaffung Sie von heute an und für den Rest Ihres Berufslebens mitwirken sollen, wird der Krieg in die Rumpelkammer der Geschichte verbannt. Kriege sind primitiv, daher sind hochtechnologische Kriege eine Contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich.
    Sie werden nun ausziehen, um diese neue Welt zu zeichnen, zu bauen und zu konstruieren. Ich wünsche Ihnen von ganzem Ingenieursherzen Glück dabei!«
    Es folgte ein stürmischer Applaus, der kein Ende nehmen wollte. Es wurde getrampelt, dann erhob sich ein frackbekleideter Examinierter nach dem anderen, bis die Freudenbekundungen in Stehbeifall übergingen.
    Als der Applaus verebbt war, wurden die Urkunden überreicht. Die Studenten mit den besten Examensnoten wurden von zehn bis eins aufgerufen. Es war eine unerhörte
Ehre, in Dresden zu den besten zehn zu gehören, das ebnete einem den direkten Weg zu den interessantesten und bestbezahlten Stellungen in ganz Europa. Gehörte man zu diesen zehn, standen einem alle Türen offen.
    Ein Engländer belegte den zehnten Platz. Er kam auf die Bühne und nahm zu höflichem Applaus, hauptsächlich von seinen Landsleuten, sein Diplom entgegen. Es hieß, dass reiche Engländer, die in Cambridge nicht angenommen worden waren, in Dresden studierten, was von allen Engländern in der Stadt – die zufälligerweise alle reich waren – mit Nachdruck bestritten wurde.
    Nummer neun war ein Berliner, Nummer acht ein Hamburger.
    Nummer sieben war ein Norweger, Oscar Lauritzen. Er erhielt einen mäßigen, höflichen Applaus. Die drei Brüder saßen nebeneinander. Sverre war aus dem Rennen, Oscar war erleichtert, und Lauritz wurde immer nervöser, da die Anzahl der ersten zehn Plätze zusehends schrumpfte. Er bemühte sich, ungerührt zu wirken, aber seine Brüder durchschauten ihn natürlich.
    »Vergiss nicht, dass es ein Wettkampf ist, Lauritz«, flüsterte sein jüngster Bruder Sverre. »Und wann hast du je einen Wettkampf verloren?«
    Damit spielte er auf Lauritz’ Karriere als Radrennfahrer an. Im Jahr zuvor war er im Velodrom in Dresden Universitätseuropameister geworden. Die deutsche und die Dresdner Meisterschaft hatte er bereits mehrere Male gewonnen.
    Schließlich waren nur noch zwei Urkunden übrig. Als der zweite Platz an einen Leipziger ging, brach Lauritz der kalte Schweiß aus. Er konnte nicht mehr klar denken.
Natürlich hätte er zu den zehn Besten gehören müssen, das wussten alle …
    Der redegewandte Rektor zog die Spannung bis ins Unerträgliche in die Länge, ehe er mit der letzten Urkunde vortrat.
    »Seltsamerweise«, sagte er, »handelt es sich bei der Nummer eins dieses Jahres um einen Mann, der mit etwas sehr Unmodernem und technisch Primitivem, nämlich mit Fahrrädern, Erfolge erringt!«
    Damit war alles klar. Die Brüder klopften ihm auf die Schulter. Er selbst versuchte eine ernste Miene aufzusetzen, als wäre er der Einzige unter den siebenundfünfzig frisch examinierten Diplomingenieuren, der nicht verstanden hatte, wer der Mann mit dem Fahrrad war.
    »Darf ich unseren Europameister Lauritz Lauritzen bitten, nach vorne zu kommen!«, rief der Rektor laut, um den bereits aufbrausenden Applaus zu übertönen.
    Als die drei Brüder anschließend mit ihren Diplomen unter dem Arm auf der George-Bähr-Straße im Gedränge der frisch Examinierten und ihrer Eltern standen, hatten sie wirklich das Gefühl, dass ihnen die Welt zu Füßen lag. Sie würden sich einige Jahre auf der Hardangervidda abrackern müssen, um ihre Schuld abzubezahlen, aber dann waren sie frei. Sobald die Eisenbahnstrecke fertig war, wollten sie versuchen, eine eigene Ingenieurfirma im Zentrum Bergens aufzubauen, die sie im Scherz Lauritzen & Lauritzen & Lauritzen getauft hatten.
    Jetzt würden sie sich aber erst einmal auf den Weg zur Dresdner Bank machen, ihre Diplome vorzeigen und wie vereinbart jeder tausend Mark entgegennehmen. Das war ein Abschiedsgeschenk, eine Art Gratifikation von der
Loge Die gute Absicht , die sich ihrer angenommen hatte, nachdem sie als Seilerlehrlinge bei Cambell Andersen in Nordnes entlassen worden waren.
    Tausend Mark war ein überaus großzügiges Examensgeschenk, das entsprach etwa

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