Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
der Stirn und begann wieder klarer zu denken. Es war, wie wenn ein Rausch verflog.
Er hatte noch acht Stunden Fußmarsch vor sich und beschloss, sich seine Gedanken an Ingeborg bis zum Schluss aufzuheben, damit er erschöpft nur mit ihr ins Bett sinken konnte. Unterwegs wollte er erst einmal all die anderen Dinge überdenken, eins nach dem anderen, um
sich von dem Ballast zu befreien, der seine Gedanken behinderte.
Er beschloss, mit dem Segeln zu beginnen.
Am meisten hatte ihn bei seiner Ankunft die Größe der Kieler Woche beeindruckt. Über achthundert Boote waren in über zehn Klassen gegeneinander angetreten.
Am wenigsten Eindruck hatte die größte Bootsklasse der Luxusjachten zwischen zwanzig und dreißig Tonnen auf ihn gemacht, mit denen man ohne Weiteres über den Atlantik segeln konnte. Sie waren im Schnitt fünfundzwanzig Meter lang und verfügten über Segelflächen von bis zu hundertachtzig Quadratmetern. In dieser Klasse, die als die absolut vornehmste galt, waren nur fünfzehn Boote gegeneinander angetreten, unter ihnen der Kaiser mit seinem Boot Meteor und seine Gemahlin, die Kaiserin, mit ihrer Iduna . Das Boot des Kronprinzen Friedrich Wilhelm hieß Angela . Prinz Adalbert hatte sein Boot Samoa III getauft, während Prinz Eitel Friedrich den pompöseren Namen Friedrich der Große gewählt hatte.
Ein Drittel der Regattasegler, die den höchsten Preis der Kieler Woche, den Pokal des Kaisers, erringen wollten, waren also Mitglieder der kaiserlichen Familie gewesen.
Der Baron hatte sein Boot als begeisterter Leser der Frithjofssaga Ellida getauft. Das entschied die Sache für die sehr zweifelhafte Zukunft, in der Lauritz ein eigenes Boot besitzen und Ingeborg neben ihm im Cockpit sitzen würde. Der Name Ellida kam damit nicht mehr infrage.
Die vier Segler an Bord der Ellida trugen weiße Uniformen mit Seemannskragen, eine Schiffermütze mit dem von-freitalschen Wappen und die Initialen der Familie auf
der linken Brusttasche. Alle Segler auf den Booten der Millionärsklasse hatten ähnliche Uniformen getragen.
Lauritz war die Aufgabe des Vorschoters zugewiesen worden, die anspruchsloseste Arbeit an Bord, insbesondere da es galt, sich strikt an die Weisungen des Steuermanns, also des Barons, zu halten. Zwei Männer, entfernte Verwandte des Barons, hatten die kompliziertere Aufgabe, je nach Windverhältnissen die Vorsegel zu wechseln. Zwei weitere Männer kümmerten sich um die Großschot.
Lauritz hatte das Ganze mehr an Frachtsegeln auf den Fjorden als an eine Regatta erinnert. Sämtliche Boote in der Kaiserklasse waren viel zu schwer gewesen – eigentlich waren es Lustjachten mit komplett eingerichteten Salons, einer Küche mit Porzellan und Gläsern und einem Kühlschrank für die Weinflaschen.
Den uniformierten Mitseglern auf den Booten der Kaiserklasse war es gestattet, die Pier zu betreten, an der alle Jachten zwischen Boje und Steg vertäut lagen.
Nur eines der großen Boote, ein englisches mit dem großartigen Namen The Golden Eagle , hatte ihm gefallen. Es war schlanker als die anderen gewesen, bescheidener, und die Segelfläche war größer gewesen. Lauritz war davon ausgegangen, dass es alle vier Regatten gewinnen würde.
Beim ersten Start lagen die fünf kaiserlichen Boote nebeneinander direkt hinter der Startlinie. Niemand versuchte, ihnen diese Plätze streitig zu machen. Die anderen zehn Teilnehmer hielten sich im Hintergrund.
Es hatte den Anschein, als wäre alles bereits im Voraus entschieden. Das einzige Boot, das es mit den fünf kaiserlichen bereits auf der ersten Distanz bei raumem Wind
aufnahm, war wie erwartet das englische. Neun wohlhabende Deutsche von und zu hielten sich höflich im Kielwasser.
Nach Umrundung der ersten Boje musste auf der nächsten Strecke gekreuzt werden. Dass der Baron dabei in Schwierigkeiten geriet, war nicht direkt unerwartet, denn er besaß kein Gespür, wann die Wende fällig war, verlor bei jedem Schlag Höhe und segelte nie hart genug am Wind.
Interessanterweise segelten die kaiserlichen Boote irgendwann den anderen davon, allein gefolgt vom englischen Mitstreiter. Die Deutschen mit den langen Nachnamen blieben weiter zurück, als es die Höflichkeit erforderte.
Prinz Eitel Friedrich gewann an diesem Tag mit seiner Jacht Friedrich der Große , der Kaiser belegte mit nur einer Schiffslänge Vorsprung vor der englischen Jacht den zweiten Platz.
Wer kreuzen kann, kann segeln. Die kaiserlichen Jachten hatten diese Aufgabe entschieden besser
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