Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
zwanzig Prozent zu behalten, nach außen weiterhin formell als Besitzer zu gelten und eine gute jährliche Dividende
abzuschöpfen, ohne sich um die Geschäfte kümmern zu müssen.
Oscar erfüllte die logische Argumentation seines Freundes Mohamadali mit Bewunderung. Sie waren gleich alt und verfügten beide über eine gute Bildung, aber Mohamadali war ihm unendlich überlegen, wenn es um Geschäfte und Politik ging.
»Wenn die Zeit reif ist, werde ich dir meine Aktien billig überlassen«, versuchte er zu scherzen. Aber Mohamadali machte nur eine abwehrende Handbewegung und lachte. Er klatschte erneut in die Hände, und als Salim vor dem Perlenvorhang erschien, bat er ihn, die Rechnungsbücher zu bringen.
Wenig später hatte Mohamadali seinen Rechenschaftsbericht beendet. Vier Jahre hintereinander hatte die Firma jährlich ihren Umsatz verdoppelt. Beim nächsten Abschluss wäre die Eisenbahnstrecke nach Kigoma fertiggestellt, damit würde das Einkommen aus dem Mahagoniverkauf versiegen. Bis dahin würde sich jedoch der Gesamtgewinn zwischen einhundertneunzig-und zweihunderttausend Pfund Sterling bewegen. Unter der Voraussetzung, dass weiterhin Mahagoni und Elfenbein in ungefähr gleicher Menge geliefert wurden. Anschließend würde man sich Sisal und Kopra zuwenden, eventuell auch Tee. Soweit sich beim Bau der nächsten Eisenbahnstrecke nicht ähnliche Möglichkeiten boten, es waren ja noch mehrere Strecken geplant. Trotzdem sei es klug, beizeiten umzudenken und in andere Waren zu investieren als jene, die bisher wie Manna vom Himmel gefallen seien.
Die Zahlen begannen vor Oscars Augen zu tanzen und wurden von Aisha Nakondis lächelndem Gesicht überlagert.
Wenn er Mohamadalis Auslegung des Rechenschaftsberichts richtig verstanden hatte, würde sich sein Gesamtgewinn in Kürze auf einhundertzwanzigtausend Pfund belaufen. Das entsprach ziemlich genau dreihundert Jahresgehältern, und dabei war er ein gut verdienender Erster Ingenieur der Eisenbahngesellschaft. Es war unbegreiflich.
»Und wie soll ich über mein Geld verfügen?«, fragte er und unternahm dabei einen schwachen Versuch, geschäftsmäßig zu klingen.
»Du solltest Aktien der Eisenbahngesellschaft kaufen, das knüpft die Bande noch enger, das wäre politisch klug und gleichzeitig, soweit ich es sehe, eine sehr sichere Investition. Dann solltest du dir ein schönes Haus kaufen oder dir eins bauen lassen, mit Aussicht auf den Hafen, das ist auch eine gute Investition«, antwortete Mohamadali mit solcher Selbstverständlichkeit, dass Oscar vermutete, dass er schon lange mit dieser Frage gerechnet hatte.
Oscar hatte, was die schwindelerregende Welt der Wirtschaft betraf, keine weiteren Fragen. Er wollte Mohamadali gern zum Abendessen einladen, obwohl er nicht sicher war, ob das Etablissement seiner Wahl Indern Einlass gewährte. Das würde sich an diesem Abend erweisen.
Der frisch renovierte Kaiserhof unten am Hafen lag zwischen der lutheranischen und der katholischen Missionskirche. Sie verzichteten auf eine Rikscha und gingen zu Fuß, Arm in Arm wie zwei spazierende deutsche Junggesellen. Sie waren glänzender Laune.
Falls es tatsächlich eine unausgesprochene Regel gab, die Indern den Zutritt in den Kaiserhof verwehrte, war davon jetzt nichts zu merken. Oscar war seit Jahren ein bekannter Mann in der Stadt. Sie erhielten den besten Tisch, der
eigentlich für sechs Personen gedacht war, mit Blick auf den Hafen.
Oscar bestellte Fisch und Lamm, sorgsam darauf bedacht, die Gerichte mit Schweinefleisch, die den Speisezettel dominierten, zu ignorieren, Eiswasser für Mohamadali und ein kaltes Bier für sich. Der Kellner empfahl ein Frankfurter Weißbier, das gerade geliefert worden war.
Das Fischgericht bestand aus kleinen gebratenen Makrelen und einem weißen Fisch, der ihn an Seeteufel erinnerte.
Sie aßen schweigend, bis Oscar beschloss, das heikelste aller Themen anzuschneiden. Er musste mit jemandem sprechen, und Mohamadali war neben Kadimba sein bester Freund in diesem Land.
»Vor einiger Zeit war ich anlässlich einer geschäftlichen Verhandlung bei der Königin der Barundi zu Gast«, begann er vorsichtig. Mohamadali reagierte amüsiert und hätte sich beinahe verschluckt.
»Aha!«, rief er. »Ein erotisches Abenteuer?«
»Ja. So kann man es wohl nennen. Aber woher weißt du das?«
»Die Barundi waren lange, vor allen Dingen in der Sklavenzeit, die führenden Händler im Inneren des vom Sultan regierten Tanganjika. Obwohl wir uns bei
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