Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
etwas, das er nur mit Mühe vor sich selbst eingestehen konnte. Im Unterschied zu fast allen Europäern, die nach Deutsch-Ostafrika gekommen waren, war er reich geworden. Das war nie seine Absicht gewesen, noch hätte er es je zu hoffen gewagt, er war einfach nur vor der Schmach aus Dresden geflohen, statt sich zu ertränken.
Aber so war es nun einmal. Sosehr er den Gedanken auch zu verdrängen suchte: Er war einer der reichsten Männer in Daressalam.
Die Hälfte des verfügbaren Vermögens hatte er in das Ingenieurbauunternehmen Lauritzen & Haugen investiert. Laut Berichten seines Bruders und dessen Teilhabers zählte es zu den erfolgreichen Firmen Bergens. Damit hatte er seiner Pflicht wahrhaftig Genüge getan und seine Schuld mit Zins und Zinseszins abgezahlt.
Das Wasser war zu Ende. Als er aus der Dusche trat, lag sein Rasierzeug bereit, auf weißen Baumwollhandtüchern
von der etwas raueren afrikanischen Art, mit zarten Akazienblättern und roten Blüten bestickt. Im Badezimmer roch es nach Gewürznelken und Vanille.
Seine Hand zitterte leicht, und er schnitt sich zweimal. Trotzdem war es ein wunderbares Gefühl, als wäre er aus einem über zehn Jahre währenden Schlaf erwacht. Den Idioten von einst, der sich von einer verschlagenen Betrügerin hatte düpieren lassen, gab es nur noch in Form einer vernarbten Demütigung, einer peinlichen Erinnerung an seine jungen Jahre. Wenn Aisha Nakondi und ihr Sohn Mkal nicht wären, würde er mit dem nächsten Dampfer nach Hause fahren. Aber die beiden waren zu sehr Afrikaner, als dass sie in Europa, geschweige denn Bergen hätten leben können. Und er war zu sehr Europäer, um in Afrika leben zu können. Diese Rechnung konnte nicht aufgehen, weil sie sich nicht mit Logik lösen ließ, denn was die Logik sagte, war klar.
Aber er war von Aisha Nakondi besessen; sein Begehren, das Mohamadali als gewöhnliche Liebe abgetan hatte, war nie abgeflaut. Vielleicht lag das an den Kräutern mit den chemisch aktiven Substanzen, an afrikanischer Magie, an der Ekstase körperlicher Liebe oder einfach nur an einem völligen Zufall, dass irgendein Gott sie aus einer spontanen Laune heraus füreinander geschaffen hatte.
Frisch rasiert, barfuß, in abgetragenen Khakihosen und einem afrikanischen Baumwollhemd mit einem grün-silbrigen Muster trat er auf die Terrasse. Das war ein unbeschreiblicher Genuss. Die Brise war mild, die Kräuselung über dem Riff schwach, und das Wasser im Hafenbecken schimmerte smaragdgrün. Es war Flut. Er blieb an der Balustrade stehen und nickte den Hausmädchen zu, die auf
der Terrasse für ein afrikanisches Abendessen deckten. Er war wie ein Afrikaner gekleidet und stand mit nackten Füßen auf geschliffenen, lauwarmen Korallensteinen.
Deutsche Gäste hätte er in Wollstrümpfen und schwarzen Stiefeln erwartet und jüngeren und weniger formellen Besuch vielleicht im Leinenanzug, andernfalls im schwarzen Gehrock und einem Hemd mit hohem, steifem Kragen sowie einer Krawatte. In Kleidung jedenfalls, die sich besser für das kalte Bergen als für den Strand in Daressalam eignete.
War er wirklich im Begriff, Afrika zu verlassen?
Die Logik und sein Selbsterhaltungstrieb sprachen dafür.
Aisha Nakondi und ihr Sohn Mkal sprachen dagegen, aber diese Gefühle verloren in allen Punkten gegen die Vernunft. Aber am Ende hatte die Vernunft noch nie gesiegt.
Sie hatte sich in den Anblick des Meeres verliebt, als sie es zum ersten Mal sah, und ihm nicht geglaubt, dass man wochenlang segeln müsse, um das nächste Land, Indien, zu erreichen. Er war mit den beiden zum Fischen gefahren und hatte erstaunt festgestellt, dass der kleine Mkal die Beute so geschickt zu packen wusste, dass er sich nicht an den scharfen Flossen und Stacheln der Fische verletzte. Die Barundi waren unter anderem auch ein Volk von Fischern, und Mkal wuchs in den Sümpfen als Fischer auf.
Und als Krieger, sicher auch als Jäger. Die Barundi unterschieden sich in vielerlei Hinsicht von anderen Völkern. Die Frauen besaßen die Macht, sie kommunizierten mit den Geistern, und sie kümmerten sich um den Handel und den Kontakt mit anderen Völkern. Die Männer erzogen die Jungen gemeinsam, wie alle anderen Barundi zu werden. Mkal hatte so gar nichts von einem Jungen aus Bergen.
Es bestand kein Zweifel daran, dass seine norwegischen Erbanlagen viel schwächer ausgeprägt waren als seine afrikanischen.
Oscar hatte sich Illusionen gemacht. Unbewusst war er ganz selbstverständlich davon ausgegangen,
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