Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
dass sich die Kultur der Zivilisation auf seine afrikanische Familie übertragen würde. Er hatte das große weiße Haus am Meer gebaut, die schönste Villa in Dar. Er war davon ausgegangen, dass Aisha Nakondi über das Angebot, so viel komfortabler als in ihrer zwar stabilen, solide gebauten, aber eben doch nur kleinen Hütte in den Sümpfen bei Kilimatinde zu leben, außer sich vor Freude und unendlich dankbar sein würde.
Er hatte sie in die beste oder zumindest teuerste Damenschneiderei der Stadt mitgenommen und ihr dort ein paar Kleider und Kostüme nähen lassen, in denen sie aussah wie eine Göttin. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden, die Kleidung amüsierte sie, aber die westlichen Schuhe mochte sie nicht.
Wie naiv er doch gewesen war. Er hatte sich ausgemalt, dass sie in einer Kirche heiraten würden, damit niemand ihr Zusammenleben beanstanden konnte, dass Aisha Nakondi Frau Lauritzen werden und dass Mkal in die protestantische Schule gehen würde, um später an einer deutschen Universität zu studieren. Er hatte sich sogar eingebildet, dass sie ihm für diesen Aufstieg dankbar sein würde.
In den Läden hatte sie warten müssen, bis alle Weißen, auch die ärmeren bedient worden waren. Das war die eine Sache gewesen.
Die andere war, dass ihr die Vorteile und Freuden, die es mit sich brachte, in einem der reichsten Haushalte
der Stadt die Frau des Hauses zu sein, nicht eingeleuchtet hatten. Die Putzfrauen und das übrige Personal herumkommandieren konnte sie durchaus, aber das genügte ihr nicht.
Aisha Nakondi war Aristokratin. Das klang vielleicht paradox. Oscar stellte sich vor, was der hochnäsige Baron von Freital, der Lauritz’ Abstammung für zu gering erachtet hatte, um seine Tochter zu ehelichen, wohl bei dieser Aussage für ein Gesicht gemacht hätte. Trotzdem war sie wahr. Es war fast peinlich, dass er so lange gebraucht hatte, um das zu begreifen.
Sie war die Nichte Königin Mukawangas und durch ihre Geburt dazu prädestiniert, einmal an der Regierung des Barundivolkes beteiligt zu sein.
All das lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Als ihm aufgegangen war, dass sie keinen Wert darauf legte, einen Platz in der feinen deutschen Gesellschaft Dars einzunehmen, hatte er begonnen, Fragen zu stellen. Ihre Erklärungen hatten ihn erschüttert, insbesondere das, was sie über die Geburt ihres Sohnes Mkal sagte.
»Wir haben den Beschluss gefasst, dass ich ein Kind mit dir bekommen sollte«, hatte sie ihm nüchtern und sachlich berichtet. »Der Rat war sich einig, dass dein Blut frisch ist und Freude bringen würde. Außerdem gefiel es mir, dich anzusehen, es gefiel mir, als wir es das erste Mal probierten, und es gefiel mir noch mehr, als wir das Kind gezeugt haben, einen Sohn, so wie es vorher entschieden worden war. Aber du besitzt ihn nicht. Ich besitze ihn.«
Die Hausmädchen hatten das Zeltdach über die Terrasse gespannt und stellten Wände aus Schilfgeflecht auf. Sie breiteten Schilfmatten, Felle, Palmblätter und arabische
Kissen auf dem Boden aus und stellten einen niedrigen Tisch für das Essen sowie schmiedeeiserne Leuchter auf.
Oscar verlangte sein Schreibpult, Schreibzeug und einen Liegestuhl. Alles wurde ihm sofort gebracht, dazu eine große beschlagene Silberkanne mit Wasser.
»Bwana Hassan Heinrich sagt, es ist Zeit für die nächste Kanne Wasser«, sagte das Mädchen, wobei sie ihm die Wasserkanne und ein kleines Weinglas aus Kristall reichte. Er wollte sie nicht in Verlegenheit bringen, indem er ein passenderes Glas bestellte. Stattdessen machte er sich einen Spaß daraus, das Glas rasch immer wieder zu füllen und erst auf das Wohl des Kaisers, dann auf Norwegen, Norwegens Unabhängigkeit, auf seine Brüder, auf die strahlende Zukunft Afrikas und auf alles, was ihm gerade einfiel, zu trinken, während sich die Kanne rasch leerte. Sein Körper war der reinste Schwamm. Er war immer noch ganz ausgetrocknet von der Cholera, um die es sich vermutlich gehandelt hatte.
Das viele Trinken ermüdete ihn angenehm. Er nahm auf dem Liegestuhl Platz, um Atem zu schöpfen, und schloss die Augen. Aus der Stadt klangen der Lärm von Pferdedroschken, das Klingeln der Rikschas und vereinzelte Hupsignale herüber. Er hatte sich bislang noch kein Automobil zugelegt, weil dieses ihn nur an den abscheulichen König Leopold II. und daran erinnerte, wie die Reifen hergestellt wurden.
Er kam über den Tod Hans Christians einfach nicht hinweg. Nicht nur weil er immer wieder die
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