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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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gehören sollte. Jetzt hatte es ihnen den Tod gebracht.
    Schließlich sah er ein, dass er etwas unternehmen musste, egal was, solange er nur etwas tat. Da er jetzt kein Zuhause mehr hatte, musste er wahrscheinlich in seinem Büro übernachten. Oder im Deutschen Haus, falls dort noch Platz war. Außer den zehn Prozent an der Eisenbahn, die im Augenblick keinen Nutzen brachten, besaß er in Afrika nur noch die Kleider, die er am Leibe trug, sein Mausergewehr, einen Patronengürtel und, immerhin etwas, einen Gürtel mit eingenähten Goldmünzen, den er schon seit Jahren für Notfälle immer an sich trug. Dazu kam noch sein Hut.
    Dieser Krieg war jetzt auch sein Krieg geworden.
    Dieser Gedanke war wie eine eiskalte Dusche, schmerzlich ernüchternd. Die Härchen seiner Unterarme stellten sich auf. Mit energischen Schritten begab er sich zum Militärkommando in der Kaiserallee.
    Dort herrschte Chaos. Dokumente, Waffen und Soldaten wurden mit Wagen zum Bahnhof geschafft. Rußverschmierte Offiziere und Askaris ruhten sich nach harter Arbeit unter zwei Platanen und einem Baobab aus, von dem behauptet wurde, er sei tausend Jahre alt. Oscar bahnte sich mühsam zwischen entgegenkommenden Soldaten einen Weg die Treppe hinauf zum Büro Major Kempners. Es herrschte Aufbruchstimmung. In den fast leer geräumten Büros herrschte ein einziges großes Durcheinander. Er erwartete kaum noch, den Major oder einen anderen Offizier anzutreffen, der sein Gesuch, sich als Freiwilliger zu melden, hätte entgegennehmen können. Daher trat er, ohne anzuklopfen, bei Major Kempner ein, um sich zu vergewissern,
dass niemand anwesend war. Zu seinem Erstaunen standen dort jedoch zwei Offiziere über einen Tisch mit Landkarten gebeugt. Der eine war Kempner, der andere Oberst Paul von Lettow-Vorbeck, der Oberbefehlshaber aller militärischen Verbände in Deutsch-Ostafrika.
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung … Ich war sicher, niemanden mehr hier anzutreffen«, stotterte Oscar. So etwas war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht passiert.
    »Keine Ursache, Herr Oberingenieur!«, rief der Oberst. »Sie sind uns immer willkommen. Ich möchte Ihnen aber erst mein Bedauern für Ihre Verluste aussprechen. Falls Sie eine Erklärung wünschen, sofern Ihnen damit überhaupt gedient sein kann, so ist anzunehmen, dass die Engländer Ihr Haus mit der Residenz des Gouverneurs verwechselt haben. Wie können wir Ihnen in dieser schweren Stunde beistehen?«
    »Ich möchte mich als Freiwilliger melden. Aber ich bin kein Soldat und will auch keiner werden.«
    »Warum nicht?«, fragte der Oberst und deutete auf einen Stuhl. Oscar sollte Platz nehmen.
    Die beiden Offiziere nahmen ebenfalls Platz und sahen Oscar neugierig an.
    »Ich bin kein Soldat, weil ich mich dafür nicht eigne«, antwortete Oscar. »Ich kann Elefanten, Büffel und Löwen erschießen, aber keine Menschen, nicht einmal Engländer.«
    Die Offiziere tauschten einen raschen Blick aus, den Oscar nicht deuten konnte.
    »Sie erinnern sich vielleicht an unsere letzte Begegnung, Herr Oberingenieur?«, fuhr der Oberst fort. »Vermutlich ist es zehn Jahre her, dass ich Sie für die Schutztruppe zwangsrekrutieren wollte. Wir haben sehr nett mit diesem
Eisenbahndirektor im Deutschen Haus zu Mittag gegessen. Wie hieß er noch gleich?«
    »Dorffnagel.«
    »Richtig, Dorffnagel. An ihn erinnere ich mich kaum noch, aber an Sie erinnere ich mich sehr gut. Sie hatten ein ausgezeichnetes Abwehrmanöver durchgeführt und eine Eingeborenentruppe von beachtlicher Größe vernichtend geschlagen.«
    »Das ist eine der unangenehmsten Erinnerungen meines Lebens, die nur davon übertroffen wurde, als ich heute die Leichen meiner Freunde in meinem niedergebrannten Haus sah. Ich wollte Ihnen anbieten, meine Ingenieurskenntnisse in Ihre Dienste zu stellen. Ich weiß alles über unsere Eisenbahnen, ich kann bauen und reparieren. Wenn wir uns auf einem Marsch befinden, kann ich zur Versorgung mit Wild beitragen. Das habe ich anzubieten, aber auf Menschen schießen kann ich nicht.«
    Sie starrten ihn an, als ob er verrückt geworden wäre. Verlegen musste er sich insgeheim eingestehen, dass dies vielleicht zutraf. Er hatte gerade angeboten, an einem Krieg teilzunehmen, aber nur unter dem Vorbehalt, keine Feinde zu töten. Man konnte sich vorstellen, was zwei Berufsoffiziere von seiner paradoxen Einstellung hielten.
    Sie betrachteten ihn nachdenklich, ohne etwas zu sagen. An der Decke knarrte der Ventilator. Dann erhob sich von

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