Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
es vermutlich schon meinem Mann erzählt haben, was geschehen ist?«
Der Polizeidirektor referierte knapp, vielleicht weil es schon das zweite Mal an diesem Abend war, und im Stil eines Berichts, was geschehen war.
Frau Lauritzens Anruf hatte ihn sofort Schlimmes befürchten lassen, denn an diesem Tag hatte die Mitteilung, dass vierzehn Seeleute gestorben seien, Bergen erreicht. Zwei Jungen aus der Klasse über Harald an der Kathedralschule hatten ihre Väter verloren.
Das wusste er, da seine jüngere Schwester eine Tochter in derselben Klasse hatte. Die beiden Jungen hatten ihre Mitschüler aufgewiegelt. Sie wollten sich an dem deutschen Balg rächen. Diese zumindest für Kinder ungewöhnlich hasserfüllte Gewalt ließ sich möglicherweise, so unbehaglich das auch war, auf diese Art erklären.
Folglich hatte die Polizei sofort zwei Maßnahmen eingeleitet. Zum einen hatte man in unmittelbarer Nähe der Schule die Trümmergrundstücke des Stadtbrands abgesucht. Dann hatte man sämtliche Kinder aus Haralds Klasse und der Klasse der beiden vaterlosen Jungen eins nach dem anderen befragt. Das hatte zu einem raschen Ergebnis geführt.
Vier Täter waren in Gewahrsam genommen worden. Aus polizeilicher Sicht war die Sache aufgeklärt. Das Problem war, dass die Täter, die sich im Prinzip eines Mordversuchs schuldig gemacht hatten, acht Jahre alt waren. Zwei von ihnen waren noch dazu vaterlos.
»Was sagen die Gesetze?«, fragte Ingeborg.
»Wenn wir uns an die Buchstaben des Gesetzes halten wollen«, meinte der Polizeidirektor seufzend, »müssten die Täter von ihren Familien getrennt werden und eine Zeit, die nicht weniger als fünf Jahre betragen darf, in einer Erziehungsanstalt verbringen.«
»Damit sie dort erst recht zu Verbrechern werden und lernen, die Gesellschaft sozusagen von rechts zu hassen?«
»Statt von links, meinen Sie?«, fragte der Polizeidirektor plötzlich amüsiert, erstaunlich amüsiert.
»Ja, in der Tat. Ich bin der Ansicht, dass das ein großes Unglück wäre«, meinte Ingeborg nachdenklich. »Die Demonstrationen dieses Sommers waren in gewisser Hinsicht beeindruckend. Fünftausend Menschen forderten Brot, Freiheit und Frieden. Wer hätte ihnen darin nicht zustimmen wollen? Auch ich und Sie, Herr Polizeidirektor. Und diese jungen Täter, vaterlose Seemannssöhne, würde ich in Zukunft auch lieber bei solchen Demonstrationen sehen als im Polizeipräsidium auf einer Liste gesuchter Verbrecher.«
»Seltsam«, meinte der Polizeidirektor. »Ihr Gatte hatte ähnliche Gedanken. Hass nütze nichts, sagte er. Wer profitierte davon, wenn vier Achtjährige für etwas, das sie aus Verzweiflung und kindlichem Unverstand getan haben, auf die Schattenseite der Gesellschaft verwiesen würden, was? Denken Sie ebenfalls so, Frau Lauritzen?«
»Ja, so denke ich«, gab sie zu. »Es gibt nur ein Problem. Nein, warten Sie, lassen Sie mich erst eine Frage stellen. Können wir als … wie heißt das? Als von der Straftat Betroffene?«
»Kläger?«
»Nun gut, Kläger. Können wir als Kläger dazu beitragen, dass diese Kinder nicht bestraft werden?«
»Nach dem Gesetz nicht wirklich, aber laut altem Brauch in Bergen können Sie die Behörden der Rechtspflege dazu auffordern, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben. Entschuldigen Sie, dass ich mich etwas vage ausdrücke, aber das ist beabsichtigt.«
»Ich verstehe. Ich bin mir ganz sicher, dass mein Mann und ich uns in diesem Punkt einig sind. Aber wenn ich auf die schwierige Frage zurückkommen dürfte. Wenn es sich nun erweisen sollte, dass man ungestraft den Versuch unternehmen kann, deutsche Kinder zu töten, was geschieht dann als Nächstes? Glauben Sie, dass man uns das Haus über dem Kopf anzünden wird?«
»So weit waren Ihr Mann und ich in unseren Überlegungen noch nicht gekommen, Frau Lauritzen. Aber Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Mordversuche an Kindern sind nicht erlaubt, ganz gleichgültig, ob sie eine norwegische oder eine deutsche Mutter haben. So ist das Gesetz. Und ich tue mein Bestes, dieses Gesetz aufrechtzuerhalten. Aber wenn wir diese vier Achtjährigen nun nicht verurteilen?«
»Ja?«
»Dann gedenke ich, sie ins Präsidium vorzuladen und ihnen dort eine Tracht Prügel zu verpassen. Und dann erkläre ich ihnen, dass sie nur so glimpflich davongekommen sind, weil Herr und Frau Lauritzen Gnade vor Recht haben walten lassen. Aber wenn sie weitere militärische Einsätze für das Vaterland auch nur in Erwägung ziehen, dann
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