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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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und Karl hopsten auf den weichen roten Plüschsitzen des Erste-Klasse-Abteils herum, das sie für sich allein hatten. Sigrid versuchte sie zur Ruhe zu bringen, Ingeborg mischte sich nicht ein.
    Stattdessen überlegte sie, was Lauritz oder sie vergessen haben könnten. Die Ausweise für die Kinder, die norwegische Staatsbürger waren und die sie in ihren deutschen Pass nicht eintragen lassen konnte.
    Sie hatte nie die Staatsbürgerschaft gewechselt. Das war vielleicht eine Dummheit gewesen.
    Ihr gewaltiges Gepäck. Die zehn Holzkisten im Gepäckwagen enthielten wohl alles, was man bei einem Umzug benötigte. Die Kinder hielten ihr Lieblingsspielzeug in den Armen, Johanne und Rosa Puppen, Karl einen Löwen aus Stoff. Nach einigen Diskussionen hatte Harald seine Dampfmaschine mitnehmen dürfen. Unter anderen Umständen hätte sie nicht nachgegeben und einfach darauf beharrt, dass Dampfmaschinen in einem Abteil nichts verloren hatten, aber aus nachvollziehbaren Gründen hatte sie
während der letzten Wochen Harald gegenüber nicht streng sein können. Schließlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass er seine Dampfmaschine mit ins Abteil nehmen, aber keinesfalls in Gang setzen durfte.
    Die Kinder nahmen es mit ihren Reisegewohnheiten sehr genau. Sie riefen Hurra, als der Zug über die Brücke fuhr, die ihr Vater gebaut hatte, winkten, als sie an dem Haus vorbeifuhren, in dem er in Hallingskeid gewohnt hatte, und jubelten, als der Zug Finse erreichte.
    Weiter waren sie bei ihren sommerlichen Ausflügen nie gefahren. Sie hatten selbst während der Kriegsjahre jeden Sommer ein paar Tage in der Gebirgsluft verbracht und das Ehepaar Klem besucht.
    Was Alice, Lauritz und Ingeborg betraf, so herrschte Frieden. Über den Krieg wurde nicht gesprochen. In Finse war man weder Deutscher noch Engländer oder Grieche.
    Ingeborg hatte ihr Kommen telefonisch angekündigt, aber die Klems waren verreist, was nicht weiter schlimm war, da sie in Finse nur zehn Minuten Aufenthalt hatten.
    Danach begann die eigentliche Reise, die Reise in ein fremdes Land, erst am Finsevand entlang nach Haugastøl und von dort am nächsten See entlang nach Ustaoset.
    Sie waren alle näher ans Fenster gerückt, und Ingeborg erzählte den Kindern von dem anstrengenden Leben, das ihr Vater geführt hatte, von seinen Skifahrten durch den Schneesturm und bei Tauwetter und von den vielen Brücken, die einem kaum auffielen, wenn man über sie hinwegsauste. Ingeborg hatte Tränen in den Augen, ohne richtig zu wissen, ob es die Trauer über das Exil und den möglicherweise endgültigen Abschied oder banale Sentimentalität war.
    Hinter Ustaoset ließ die Spannung nach. Die Kinder riefen, dass sie hungrig waren. Im Gepäcknetz lagen große Picknickkörbe. Vermutlich viel zu viele Brote mit Schafs-und Ziegenkäse von Osterøya, geräucherter Rentierwurst, gepökeltem Hammelfleisch und was sie sonst mitzunehmen pflegten.
    Ingeborg hatte sich trotz redlicher Bemühungen nie richtig damit abfinden können, dass in Norwegen kaum zu Mittag gegessen wurde und man sich stattdessen mit raschelnden, fettigen Butterbrotpaketen abmühen musste. In dieser Beziehung war Harald vollkommen norwegisch.
    Würde es mit den norwegischen Angewohnheiten der Kinder nun ein Ende haben? Nein, Lauritz würde immer norwegisch mit ihnen sprechen. Sie würden jeden Sommer nach Hause fahren können, sie würden das Dampfschiff nach Osterøya nehmen und Großmutter Maren Kristine besuchen.
    Die Verwandten auf Osterøya litten keine Not. Die Geschäfte waren natürlich zum Erliegen gekommen, da keine Touristen mehr kamen. Aber Großmutter Maren Kristine hatte, wie sie das selbst beschrieb, in den sieben fetten Jahren Vorräte angelegt. Frøynes Gård produzierte außerdem inzwischen zu viel Lebensmittel.
    Essen. Sie verspürte keine sonderliche Lust auf die Butterbrotpakete, über die sich die anderen, auch Sigrid, gerade hermachten. Sie überließ die Aufsicht Sigrid und begab sich in den Speisewagen. Auf dem Weg nach Kristiania hatte sie oft dort gegessen, meist ganz kurz zwischen Drammen und der Hauptstadt. Auf dem Nachhauseweg hatte sie den Speisewagen nie aufgesucht, da sie zu Hause in der Allégaten immer ein Festmahl erwartete.
    Allégaten. Würde sie ihr Zuhause jemals wiedersehen?
    Der Speisewagen war halb voll, und sie erhielt einen Tisch für sich. Sie erwog erst, Frikadellen oder Wurst zu nehmen, bis sie Lammbraten auf der Speisekarte entdeckte. Deutschen Wein gab es keinen mehr. Nach

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