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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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nicht zu sehen«, schlug Odd Eiken vor.
    »In welche Falte?«, erwiderte sie und drückte die Spitze an das pralle Augenlid, holte tief Luft und schnitt.
    Der Blutstrahl besaß eine überraschende Kraft und traf sie im Gesicht und auf der Brust. Wortlos legte sie das Skalpell beiseite, ging zur Waschschüssel, goss Wasser hinein und griff nach einem Waschlappen. Harald schrie herzerweichend. Das war ein gutes Zeichen, das zeigte, dass er langsam das Bewusstsein wiedererlangte.
    Die Tür wurde aufgerissen, und Lauritz stürmte herein. Sein entsetzter Blick wanderte zwischen dem mit blauen Flecken übersäten Körper seines Sohnes auf dem Operationstisch und der blutbefleckten Ingeborg hin und her.
    »Alles ist gut gegangen, mach dir keine Sorgen, geh bitte wieder raus!«, befahl sie in einem Ton, der ihn verstehen ließ, dass sie die Wahrheit sprach. Er zog sich rasch zurück und kehrte zu seinem Gast, dem Polizeidirektor, zurück, um ihm zu berichten.
    Die Verletzung des Augenlides musste nicht genäht, aber das Auge mit verdünntem Alkohol gespült werden, um eventuelle Pferdebakterien zu beseitigen. Das würde schmerzhaft werden, das wussten beide Ärzte, denn an dieser Stelle war eine örtliche Betäubung unmöglich, und für eine Vollnarkose standen ihnen nicht die Mittel zur Verfügung.
    Während dieses Eingriffs schrie der Patient erneut herzerweichend.
    Die Wange konnte lokal betäubt werden. Jetzt war der Patient fast wieder bei vollem Bewusstsein. Ingeborg hielt ihm zärtlich den Kopf, während ihr Kollege die Wunde noch einmal auswusch und dann vernähte.
    Sie wickelten den Patienten in zwei Decken ein. Alles war so weit getan, jetzt mussten sie nur noch dafür sorgen, dass seine Körpertemperatur stieg. Die beiden Ärzte wuschen sich und warfen ihre Kittel auf den Boden.
    »Ich bin wirklich sehr froh, dass ich dir helfen konnte, das sollst du wissen, Ingeborg, meine liebe Freundin«, sagte Odd Eiken mit Betonung auf »liebe Freundin«. »Es war nicht nur das Feuer, das unsere fantastische moderne Idee einer Gemeinschaftspraxis von einem Arzt und einer Frauenärztin zerstört hat. Es war der Krieg.«
    »Ich weiß«, antwortete sie. »Und ich weiß auch, dass du ein guter Freund bist und dass alle Kriege in der Geschichte der Menschheit irgendwann ein Ende genommen haben. So wird es auch mit diesem sein. Vielleicht können wir noch einmal von vorn anfangen?«
    »Sehr gerne, Ingeborg. Und der Junge wird durchkommen. Nur das Auge ist kritisch.«
    »Ich weiß«, erwiderte sie. »Wenn die Schwellung abgeklungen ist, bringe ich ihn in Halvorsens Augenklinik. Dann werden wir weitersehen. Aber die Schwellung am Auge hat den erhöhten Puls und Blutdruck verursacht. Wir haben sein Leben gerettet, ich bin dir unendlich dankbar.«
    Odd Eiken half ihr, Harald in eines der Gästezimmer zu tragen. Dort legten sie ihn unter eine dicke Daunendecke zwischen zwei Wärmflaschen. Er war bei Bewusstsein, aber sehr schläfrig, ein außerordentlich gutes Zeichen.
    Haralds gesundheitliche Krise war gebannt, aber nicht
die neue Krise, die in jenem Augenblick begann, als sich Ingeborg von ihrem Freund und ehemaligen Kompagnon Odd Eiken an der Tür verabschiedete. Ihre Klinik in der Strandgaten war den Flammen zum Opfer gefallen. Ihre Möglichkeiten, gemeinsam eine Praxis zu betreiben, hatte der Weltkrieg vernichtet.
    Lauritz und der Polizeidirektor saßen wie zu erwarten im Herrenzimmer. Sie hatten sich beide etwas Hochprozentiges eingeschenkt, und dagegen war nichts einzuwenden.
    »Du kannst jetzt raufgehen und Harald Gute Nacht sagen«, teilte Ingeborg Lauritz mit. »Er ist vielleicht etwas schläfrig, aber die Krise ist vorüber.«
    Lauritz nickte ihr zu, verbeugte sich Richtung Polizeidirektor und verließ beinahe verlegen den Raum. Ingeborg schenkte sich ein Glas mit Wasser verdünnten Weinbrand ein, nahm dem Polizeidirektor gegenüber Platz und hob das Glas.
    »Das habe ich mir redlich verdient und brauche es auch«, sagte sie.
    »Ganz sicher, Frau Lauritzen, ich meine, Dr. Lauritzen. Alles ist also gut verlaufen?«
    »Ja. Der Patient hat überlebt«, erwiderte sie. »Es bleibt abzuwarten, ob er die Sehkraft auf dem einen Auge verliert. Aber sagen Sie mir, Herr Polizeidirektor … Entschuldigen Sie! Als Erstes muss ich mich natürlich dafür bedanken, dass Sie meine Sorge so ernst genommen haben und dass es Ihnen so rasch gelungen ist, meinen Sohn zu finden. Sie haben ihm das Leben gerettet. Aber sagen Sie mir jetzt, obwohl Sie

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