Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Daressalam mit einem schweren Rucksack, angefüllt mit dreihundert Patronen, schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Kadimba und er hatten mehr als zweihundertachtzig Schüsse abgefeuert, einen ganzen Friedhof mit Engländern und Südafrikanern gefüllt, und trotzdem nahm das Töten kein Ende. Soweit sich Oscar erinnern konnte, hatte er einen Grund gehabt, sich diesem Krieg anzuschließen, aber er konnte sich nicht mehr entsinnen, welchen.
Rache? Ja, aber wie sinnlos ihm das nach all diesen Jahren vorkam. Deutschland gegen die Barbarei? Selbst wenn das sachlich gesehen stimmte, konnte er sich nicht mehr vorstellen, dass er jemals so gedacht hatte. Überlebenswille? Töten oder getötet werden. Vermutlich, aber selbst diese Entscheidung kam ihm nicht mehr wichtig vor.
Wofür kämpfte er eigentlich?
Alles, wofür er in Afrika gelebt hatte, was er geliebt hatte,
existierte nicht mehr. Aisha Nakondi war fort und mit ihr die Kinder und alles, was er aufgebaut und selbst wieder eingerissen hatte.
Natürlich ließe sich das alles nach einem Sieg wieder aufbauen. Aber auch dieser Gedanke richtete ihn nicht auf, es war, als sehnte er sich nicht einmal mehr nach einem Sieg, diesem berauschenden Glück, von dem ständig die Rede war. Eine große Müdigkeit legte sich wie eine regengetränkte graue Soldatendecke auf alle seine Gedanken.
Kadimba und er lagen schläfrig neben einem Weg zwischen zwei südafrikanischen Einheiten im Hinterhalt. Sie sollten einen der Motorradkuriere abfangen, die zwischen den beiden Regimentern hin-und hergeschickt wurden. Die eigene Truppe benötigte dringend Informationen über die Bewegungen des Feindes.
Oscar war fast enttäuscht, als ihn Kadimba aus seinem Halbschlaf weckte und auf den übersichtlichen Abschnitt des lichten Waldes deutete. In einer roten Staubwolke näherte sich ihnen, Wurzeln und Felsbrocken auf der provisorisch angelegten Straße ausweichend, ein Motorrad mit Beiwagen.
Oscar seufzte, als er das Gewehr anlegte und sich auf der roten Erde abstützte. Situationen wie diese stellten keine Herausforderung mehr dar, sondern riefen nur noch diese bleischwere Müdigkeit hervor.
Als hätte er Oscars Stimmung gespürt, schlug Kadimba vor, den Motorradfahrer einfach nur anzuhalten und sein Motorrad zu konfiszieren, um damit schneller ins eigene Lager zurückzukommen.
Oscar nickte, stellte sich auf die Knie und scherzte, dass ihre Patronen mittlerweile ohnehin zu wertvoll seien. Ein
Südafrikaner mehr oder weniger mache schließlich keinen Unterschied. Außerdem ging es ja um die Depeschen des Kuriers.
Sie hatten sich an einem Hang in den Hinterhalt gelegt, damit die Motorradfahrer ihr Tempo drosseln mussten, bevor sie erschossen wurden.
Oscar trat auf die Straße, als sich das Motorrad etwa fünfzig Meter von ihm entfernt befand, und hob die Hand zum Zeichen, dass es anhalten solle. Schräg hinter ihm stand Kadimba mit seinem Gewehr. Der Fahrer kam vor Schreck beinahe vom Weg ab, brachte dann aber sein Fahrzeug unmittelbar vor ihnen zum Stehen und hob beide Arme in die Luft. Er war klein und sehr jung.
»Hände hoch und absteigen!«, befahl Oscar.
»Warum?«, wollte der Junge wissen und nahm seine Motorradbrille ab. Zwei weiße Kreise zierten sein rotstaubiges Gesicht. Er schien verwirrt zu sein, sprach aber zumindest Deutsch.
»Weil wir die deutsche Schutztruppe sind und du ein südafrikanischer Soldat bist«, antwortete Oscar. Verärgert über die dumme Frage, hob er drohend sein Gewehr. Der Junge gehorchte sofort, stieg ab und nahm Haltung an, obwohl das mit den Händen über dem Kopf schwierig war. Das wirkte komisch oder eher noch rührend.
»Wo hast du deine Depeschen?«, fragte Oscar.
»Da!«, antwortete der Junge und deutete auf den Beiwagen, riss dann aber rasch seine Hände wieder in die Höhe. Er wirkte eher erstaunt als verängstigt.
»Aber … aber Sie können mir meine Depeschen doch nicht wegnehmen?«, wandte der Junge so naiv ein, dass Oscar sich ein Lächeln kaum verkneifen konnte.
»Doch«, erklärte Oscar. »Wir können dich sogar leben lassen, aber stell dich darauf ein, zu Fuß zu deinem Lager zurückzulaufen.«
»Aber der Krieg ist doch zu Ende«, protestierte der Junge und senkte zögernd seine Hände. »Sie wissen doch wohl, dass seit zwei Tagen Waffenstillstand herrscht?«
Plötzlich stand in Oscars Kopf alles still. Als ihn Kadimba um eine Übersetzung bat, sagte er nur mechanisch auf Swahili: »Der Krieg ist zu Ende.«
Es dauerte eine Weile,
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