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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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an.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Hier oben hält man irgendwie alles für selbstverständlich. Diese Unsitte wirst du dir schon auch noch angewöhnen. Wie auch immer. Du und ich, wir bewohnen die beiden kleinen Zimmer im Erdgeschoss neben dem Saal mit dem großen Kamin. Der heizt das ganze Haus. Im Winter müssen wir abwechselnd nachts aufstehen
und Holz nachlegen. Im Obergeschoss haben wir unser Büro. Bis heute Abend.«
    Daniel drehte sich um und ging.
    Lauritz nahm das »Selbstverständliche« in Angriff und stellte fest, dass eines der beiden Schlafzimmer im Parterre leer stand, das andere nicht. Er trug seinen Rucksack hinein und sah sich in dem Raum um, der auf unbestimmte Zeit, zumindest aber für einige Jahre, sein Zuhause sein würde. Das Zimmer war etwa drei mal vier Meter groß. Wände aus dicken Balken, breite Dielen, die Ritzen mit Moos abgedichtet. Ein Fenster, ein Tisch, ein Stuhl, ein wackliger Kleiderschrank und ein breites, etwas zu kurzes Bett im Bauernstil. Im Zimmer duftete es nach Holz und Teer.
    Ihn fröstelte vor Kälte, und ihm fiel ein, dass er ja völlig durchnässt war. Er warf seinen Rucksack auf das breite Bett und suchte trockene Kleider heraus. Dann überlegte er es sich jedoch anders und ging in den Flur und von dort in die Küche. Die Köchin Estrid saß neben dem wärmenden Eisenherd und flatterte wie ein kleiner, unruhiger Vogel von ihrem Platz auf, als er eintrat. Sie war beim Kartoffelschälen gewesen.
    »Entschuldigen Sie!«, rief sie, unbegreiflicherweise errötend. Es war auch unklar, was er entschuldigen sollte.
    »Guten Tag, Estrid«, grüßte er. »Ich bin Lauritz, der neue Ingenieur. Sie dürfen mich gerne mit meinem Vornamen ansprechen, Estrid. Ich frage mich, ob Sie mir bei einer Kleinigkeit behilflich sein könnten?«
    Sie nickte, schien es aber nicht zu wagen, zu antworten. Sie war hübsch, fast weißblond und trug ihr Haar in einem dicken Zopf, der ihr ein gutes Stück auf den Rücken
herabhing. Sie mochte zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt sein.
    »Ich bräuchte eine Wanne warmes Wasser«, fuhr er fort. »Außerdem habe ich einen Haufen verschwitzter Kleider, die gewaschen werden müssten, obwohl es damit keine sonderliche Eile hat. Ließe sich das machen?«
    »Natürlich, Herr Ingenieur. Soll ich das Wasser in den Saal vor den Kamin tragen?«, erwiderte sie rasch und mit zu Boden gerichteten Augen.
    »Ja, das wäre ganz ausgezeichnet. Vielen Dank, Estrid«, sagte er und ging.
    Eine halbe Stunde später, nachdem er sein Gepäck sortiert und Schreibzeug, Bücher und Zeitschriften auf den wackligen Schreibtisch gelegt hatte, stand er nackt in einer Zinkwanne vor dem großen offenen Kamin und versuchte, sich von Kopf bis Fuß zu waschen. Als Erstes hatte er sich vor die Wanne gekniet, sein Haar mit Schmierseife eingeseift und dann ausgespült. Dann hatte er sich in die Wanne gestellt und sich von oben bis unten gewaschen. Danach hatte er sich, die Füße in der Wanne, vor dem Kamin trocknen lassen. Seine Haut brannte und kribbelte.
    Er zog frische Kleider an, wichste seinen Schnurrbart, der bedenklich nach unten hing, setzte sich mit einem weißen Blatt Papier vor sich an den Schreibtisch, glättete es und tauchte die Feder in sein Tintenfass. Ihm fiel auf, dass er zu wenig Tinte mitgenommen hatte. Ob man beim Briefträger Tinte bestellen konnte?
    Was sollte er ihr, abgesehen von den rein faktischen Umständen, schreiben? Er war angekommen. Die Reise von Dresden nach Kristiania hatte drei Tage gedauert. Die Reise von Kristiania auf die verschneite Hochebene vier. Es
war also eine Woche vergangen, seit sie sich vor dem Hauptbahnhof – einem im Übrigen sehr schönen Gebäude – voneinander verabschiedet hatten. Irgendwann einmal wollte er etwas Ähnliches bauen, allerdings nicht barock, sondern im nordischen Stil.
    Zurück zur Sache. Er war am Ziel, die Reise war ohne Komplikationen verlaufen, nur ein kleiner Schneesturm auf dem letzten Wegstück auf Skiern, aber der war rasch vorüber gewesen. Auf der Reise hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Zweifellos würde seine Gefangenschaft in der Welt der Gletscher etliche Jahre währen. Aber nichts, nicht einmal die bittersüße Sehnsucht währte ewig. Wenn man es genau bedachte, war er schließlich erst sechsundzwanzig Jahre alt und sie drei Jahre jünger. Wenn sie ihr Gelöbnis hielten, würden sie am Ende siegen. Die Landschaft, die ihn umgab, war einsam, aber wunderschön.
    Im Schneesturm und vor den hohen,

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