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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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anders.
    Seine Skispitzen waren auf sein Ziel gerichtet. In etwa zwölf Kilometern Entfernung war der See zu Ende, und dort wurde er am Ufer erwartet. Er zog seinen Kompass hervor und bestimmte die Richtung. Dann holte er tief Luft und marschierte weiter durch den eisigen Schneematsch. Die dünne Eiskruste barst unter jedem Schritt, der Rucksack fühlte sich an wie mit Blei gefüllt, er schwitzte stark am ganzen Körper, während seine Füße immer gefühlloser wurden. Doch er zwang sich voran. Mit jedem Schritt, den er seinen Ski auf der dünnen Eiskruste vorwärtsschob, nährte er seine Hoffnung. Die jedoch zerplatzte, sobald er den zweiten Fuß nach vorn schob. Alle zehn Meter hielt er inne, überprüfte seinen Kompass, drehte sich um und versuchte seine eigene Spur im Schneegestöber auszumachen, um sich zu vergewissern, dass er auch geraden Kurs hielt. Er erwog, den schweren Rucksack auf dem Eis zurückzulassen, kam aber zu dem Schluss, dass es vermutlich besser war, die Anstrengung auf sich zu nehmen, weil er so seine Körpertemperatur aufrechterhalten konnte und sich keine
Erfrierungen zuzog. Ganz davon abgesehen schien die überschüssige Wärme in die Füße auszustrahlen. Außerdem wollte er nicht wie ein Jammerlappen dastehen, der zu schwach war, sein Gepäck zu tragen.
    Plötzlich trug ihn das Eis wieder, die Skier glitten dahin, ohne dass er noch einmal einbrach. Er war unendlich erleichtert, da er nicht wusste, wie viele Kilometer es noch bis zum Ufer waren. Von dort waren es dann noch fünf Kilometer bis Nygård, wo er Quartier nehmen sollte.
    Seine Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Als die nassen Skier mit dem festen Schnee in Berührung kamen, blieb der Schnee zentimeterdick an ihnen kleben. Nun war es noch schwieriger vorwärtszukommen als vorher. Er musste stehen bleiben. Mit so viel festgepapptem Schnee unter den breiten Hickory-Skiern war kein Vorankommen.
    Er könnte die Skier ausziehen und zu Fuß weitergehen. Vielleicht war das für die Füße sogar besser. Aber mit der doppelten Last würde er nur sehr langsam vorankommen, und er war bereits massiv verspätet.
    Zu Gott wollte er nicht beten, aus Prinzip. Er wollte Gott nicht mit Dingen behelligen, die man auch allein bewältigen konnte, genauso wenig, wie er Gott jemals um Reichtum bitten würde. Abends, wenn er wohlbehalten an seinem Ziel angelangt war, würde er sehr wohl zu Gott beten, aber in diesem Gebet würde es um Dinge gehen, die er nicht selbst in der Hand hatte: um Ingeborgs und seine gemeinsame Zukunft.
    Er hätte schreien mögen, so sehr schmerzten seine eisigen Füße. Obgleich das sicher besser war, als wenn er sie überhaupt nicht mehr spüren würde.
    Mit Mühe entledigte er sich seines schweren Rucksacks, der wegen der Bücher dreißig Kilo wog, zog sich die Handschuhe aus und löste mit ungeschickten Bewegungen die vereisten Skibindungen. Er musste eine Weile in seinem kompakt gefüllten Rucksack suchen, bis er ein Messer fand. Dann begann er, die Skier sorgfältig abzukratzen. Daran erinnerte er sich noch aus seiner Kindheit. Man musste die Skier ganz sorgfältig abkratzen, denn übersah man auch nur den winzigsten Eisflecken, entstand sofort eine neue Unebenheit, hinter der sich erneut Schnee und Eis verklebten, und man konnte von vorn beginnen.
    Es war nicht sonderlich kalt, vier oder fünf Grad unter null, aber der Wind verdoppelte den Kälteeffekt. Obwohl seine Finger immer steifer wurden, zwang er sich, weiterzukratzen, bis Schnee und Eis gänzlich von beiden Skiern entfernt waren.
    Als er die Stöcke endlich wieder in den Schnee stecken konnte, glitt er wunderbar dahin, mit jedem Abstoßen schoss er zwei Meter weit und viel müheloser als vorher vorwärts. Da er endlich wieder richtig ausgreifen konnte, bekamen seine Füße die nötige Bewegung und erwachten wieder zum Leben. Nun beunruhigte ihn nur noch, dass das Eis in Ufernähe aufgegangen oder dünn sein könnte, sodass er kurz vorm Ziel einbrechen würde.
    Es war ratsam, das zügige Tempo so lange wie möglich durchzuhalten und regelmäßig den Kompass zu kontrollieren. Sicht gab es nach wie vor keine, und er musste die Augen fest vor den kleinen spitzen Eiskristallen zusammenkneifen, die ihm ins Gesicht peitschten.
    War das Wahnsinn oder ein irrsinniger Traum? Er war
allein in dieser Hölle aus Schnee, obwohl eigentlich drei Brüder diesen Marsch hätten antreten sollen. Oscar war desertiert, weit weg, niemand wusste, wohin. Dass man ihn schändlich

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