Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Brückenfundament und hoffte vergeblich. Die Löwen wiederholten ihre Überraschungstaktik nicht.
Stattdessen schien sie der Geruch menschlicher Exkremente auf eine Idee gebracht zu haben. An zwei aufeinanderfolgenden Spätnachmittagen stellten sie ihre Beute in hockender, schutzloser Position in nächster Umgebung des Lagers.
Die Angewohnheit der Eingeborenen, ihre Notdurft in der Natur zu verrichten, hatte die Eisenbahngesellschaft stillschweigend geduldet. Man hatte dies nicht als sonderliches Problem erachtet, da das Lager der Eisenbahnbauarbeiter normalerweise nach kurzer Zeit weiterzog. Aber an dieser Brückenbaustelle hielt man sich aufgrund der andauernden Verspätungen nun schon einen ganzen Monat auf. Als sich die Einsicht unter den Arbeitern durchsetzte,
dass jeder, der sich zwecks Verrichtung seiner Notdurft zu weit vom Lager entfernte, sein Leben riskierte, verwandelte sich die nähere Umgebung des Lagers innerhalb weniger Tage in eine stinkende Kloake.
Dieser Umstand war für Dr. Ernst, der sonst eher verschlossen und zurückhaltend war und sich mit seiner Malariaforschung beschäftigte, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als Lagerarzt war er für die sanitären Verhältnisse verantwortlich. Der hagere Mann war zwar doppelt so alt wie Oscar, aber nur halb so schwer und wesentlich kleiner, und er hatte noch nie die Stimme erhoben. Jetzt marschierte er ohne vorherige Ankündigung in Oscars Zelt und deutete stumm und blass auf seine rechte Stiefelspitze. Er war ganz offensichtlich in Exkremente getreten.
Oscar versuchte die Situation mit Humor zu entschärfen und wies mit gespielter Strenge daraufhin, dass er ja durchaus Verständnis für Dr. Ernsts Lage habe, es ihm aber dennoch unpassend erschien, das Problem so handgreiflich zu illustrieren, indem er es ins Zelt mitbringe. Oscars Scherz hatte keinerlei beruhigende Wirkung, schien den sagenhaften Wutausbruch des kleinen Mannes im Gegenteil nur anzufachen.
Als wären die zu erwartenden Malariaprobleme nicht schlimm genug! Sollte man sich jetzt auch noch eine Choleraepidemie auf den Hals laden oder die Ruhr? Eine fast unvermeidliche Folge dieser sanitären Nachlässigkeit! Man sei nicht in Afrika, um sich wie die naiven Wilden aufzuführen, sondern um die deutsche Zivilisation zu verbreiten, und dazu gehöre die Cholera nun einmal nicht!
Gegen Dr. Ernsts Proklamation war nichts einzuwenden,
nicht einmal was die Sache mit der deutschen Zivilisation betraf. Oscar bat Herrn Dr. Ernst, sich zu beruhigen, Platz zu nehmen und Maßnahmen vorzuschlagen.
Das weitere Gespräch verlief gemäßigter. Afrikanische Gewohnheiten hin oder her, man müsse funktionale Latrinen errichten, am besten nach militärischem Vorbild, eine tiefe Rinne, darüber ein Sitzbalken und das Ganze von geflochtenen Schilfwänden umgeben.
Die erste und wichtigste Maßnahme am nächsten Tag, noch vor Beginn der Bauarbeiten, müsse die Errichtung der Latrine sein. Vor der Latrine würde es Waschgelegenheiten geben, und wer sich nach Verrichtung seiner Notdurft nicht die Hände wusch, erhielt einen strengen Verweis. Diese hygienischen Maßnahmen seien ungemein wichtig, da die Gesundheit aller im Lager davon abhänge. Andernfalls wäre das Malaria-Forschungsprojekt gefährdet. Alle noch herumliegenden Exkremente mussten beseitigt und vergraben werden, notfalls mit bewaffneter Eskorte der Askari-Krieger!
Oscar hatte nichts einzuwenden. Er war Ingenieur und in den modernen Naturwissenschaften beheimatet, die mehr als alle anderen Wissenschaften die neue, friedliche Welt erschaffen würden. Was die Medizin betraf, war er, wenn auch nicht ganz ungebildet, kaum ein Experte. Die persönliche Hygiene war für ihn eher eine Frage der Ästhetik als eine Frage der allgemeinen Gesundheit. Er hatte jedoch keinen Grund, Dr. Ernsts Fachkenntnisse anzuzweifeln oder gar zu bestreiten.
Es würde nicht leicht werden, den ganzen nächsten Arbeitstag auf die Lösung der sanitären Probleme zu verwenden, statt den Brückenbau fortzusetzen. Allen war daran
gelegen, die Brücken so schnell wie möglich fertigzustellen, um diesen verfluchten Ort endlich verlassen zu können. Einige Arbeiter glaubten nämlich zu wissen, dass die bösen Geister ortsgebunden seien und sich gegen das Eindringen in ihr Revier zur Wehr setzten. Doch laut Kadimba war es zwecklos, das Lager einige Kilometer zu verlegen. Die Löwen würden ihnen mit derselben Selbstverständlichkeit folgen wie normale Löwen den Zebras
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