Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Er sah nur das Weiß von Augen hinter dem Gitter.
»War Simba hier?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte.
Die beiden Männer waren vor Schreck wie gelähmt und konnten nicht antworten.
Am nächsten Morgen rekonstruierte Oscar den Verlauf. Er hatte nicht gewusst, dass Schwarze blass werden konnten. Mithilfe Hassan Heinrichs musste er immer wieder nachfragen, bis er endlich wusste, was eigentlich geschehen war.
Simba, ob einer oder alle beide, war unklar, hatte sich plötzlich im Waggon befunden. Die beiden Askaris hatten, möglicherweise beeinflusst durch die mentale Kraft der bösen Geister, mit einer gewissen Verzögerung getan, was man ihnen aufgetragen hatte: Sie hatten an dem Seil gezogen, und die Falltür war zugeschlagen. Anschließend hatten sie in tiefster Finsternis losgefeuert. Sie hatten vielleicht ein Dutzend Schüsse ins Dunkel abgegeben und dabei versehentlich das Schloss der Falltür getroffen. Durch die Öffnung war Simba dann in die Nacht verschwunden. Das war alles.
Mit Tränen in den Augen verfasste Oscar seinen Bericht. Er war der Lösung dieses teuflischen Problems so nahe gewesen und hatte versagt. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er auch bald an Zauberei und böse Geister geglaubt.
Er erwog, aufzugeben, mit dem nächsten Transport nach Daressalam zu fahren, sich seinen Lohn auszahlen zu lassen und nach Norwegen zurückzukehren, um dort das zu tun,
was er von Anfang an hätte tun sollen. Diesem schwarzen Übel hatte er nichts entgegenzusetzen, er war ein schlechtes Beispiel dafür, wie der weiße Mann Zivilisation und Fortschritt in Afrika verbreiten sollte. Zum zweiten Mal in seinem Leben hatte er versagt.
Kaum hatte er diesen quälenden Gedanken zu Ende gedacht, hörte er, wie Kadimba vor dem Zelt nach ihm rief. Mutlos ging er nach draußen und sah mit Erstaunen, dass sein Jagdgefährte überraschend fröhlich war.
»Bwana Oscar, wir werden einen Löwen töten, bevor die Sonne untergeht«, versicherte Kadimba mit einem strahlend weißen Lächeln.
Oscar konnte sich nicht beherrschen und umarmte ihn, fing sich aber rasch wieder und entschuldigte sich.
Kadimba führte ihn mit federnden, optimistischen Schritten zu dem ramponierten Waggon und erzählte ihm, was er in den Spuren lesen konnte. Jetzt brauchten sie Hassan Heinrich nicht, denn wenn sie sich über die Jagd unterhielten, verstanden sie einander mühelos.
Im Waggon war Blut, frisches Blut, sowohl auf dem Fußboden als auch an der Stelle, wo sich Simba ins Freie gezwängt hatte.
Kadimba kratzte mit dem Zeigefinger etwas Blut ab, hielt ihn hoch und leckte ihn dann triumphierend ab.
»Es ist seine Leber, Bwana Oscar, jetzt können wir ihn finden und töten, wenn er nicht schon tot ist«, sagte Kadimba mit einem strahlenden Lächeln. Dann trat er ins Freie und deutete auf die rote Erde und auf Blutspuren, die für Oscar nicht zu sehen waren. Er streckte den Arm in die Richtung, in die Simba geflüchtet war.
Nach einem soliden Frühstück bewaffneten sie sich, füllten
ihre Wasserflaschen und folgten der Spur. Anfänglich hatte der Löwe noch meterweite Sätze gemacht, dann hatte er sich beruhigt und seinen Weg langsamer fortgesetzt. Nach einigen Hundert Metern wurde Oscar unruhig und hielt an, um zu beratschlagen. Soweit er sehen könne, erklärte er, folgten sie jetzt einem unverletzten Löwen, der sich ohne sonderliche Eile fortbewege. Kadimba schüttelte den Kopf und deutete auf den deutlichen Abdruck einer Hinterpfote.
»Seht, Bwana Oscar! Er läuft mit gespreizten Klauen.«
Die Bedeutung dieses Umstands war Oscar nicht recht klar, aber er schob seinen Verdruss über seine Unwissenheit beiseite und fragte nach. Es bedeute, dass Simba Schmerzen hatte, dass er sterben würde, erklärte Kadimba. Simba sei sich dessen bewusst, und das mache ihn noch gefährlicher. Die Spuren, die sie vor sich hatten, waren höchstens fünf Stunden alt. Kadimba hob einen Brocken roter Erde vom Boden auf und verrieb ihn auf Oscars weißem Handgelenk. Ein deutlicher roter Blutfleck.
Sie waren jetzt eine Stunde gegangen, für ein schwer verletztes Tier eine sehr lange Strecke, fand Oscar. Ihm fiel auf, dass auch Kadimba zögerte. Er schlug vor, eine Pause zu machen. Kadimba nickte lächelnd, sie setzten sich und öffneten ihre Wasserflaschen.
Oscar versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Der Löwe war von einer Kugel getroffen worden, die die Leber durchstoßen und wieder aus dem Rumpf ausgetreten war. Ein Mensch wäre unter diesen
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