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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Ernst schlagartig sehr müde. Er wirkte geradezu angetrunken, was nach einer halben Flasche Wein seltsam anmutete.
    Oscar fiel es schwer, einzuschlafen, nachdem Dr. Ernst aufgebrochen war. Seine Gedanken sprangen zwischen den beiden großen Neuigkeiten hin und her. Offenbar war es Dr. Ernst also gelungen, das mit Abstand größte Problem mit den afrikanischen Arbeitskräften, nämlich die Verluste durch Todesfälle, zu lösen. Menschenfressende Löwen gehörten trotz allem zu den eher ungewöhnlichen Schwierigkeiten, auch wenn die Verluste der letzten Monate massiv gewesen waren.
    Die andere große Neuigkeit war, dass Edelholz für Hunderttausende – vielleicht Millionen? – von Mark neben der Bahnlinie einfach herumlag und verrottete. Wem gehörte dieses Mahagoni? Der Eisenbahngesellschaft oder dem Protektorat Deutsch-Ostafrika? Oder etwa dem Deutschen Reich? Andere Möglichkeiten fielen ihm nicht ein.
    Oder denjenigen, die die Aufräumarbeiten übernahmen? Darüber musste er noch ernsthaft nachdenken.

    Der Empfang, der Oscar bei seiner Ankunft in Daressalam bereitet wurde, war ebenso überraschend wie peinlich. Er hatte kein Empfangskomitee erwartet, noch viel weniger einen solchen Aufstand. Nach mehreren Monaten im Busch hatte er keine Ahnung davon, dass er als germanischer
Held betrachtet wurde. Vor allen Dingen wusste er nichts von der Berichterstattung der beiden städtischen Zeitungen über seine Jagd auf die menschenfressenden Löwen, die er eher als eine quälende Aneinanderreihung von Niederlagen erlebt hatte, die damit endete, dass ihm Kadimba das Leben gerettet hatte. Außerdem hätte Dr. Ernsts wissenschaftlicher Durchbruch all dies in den Schatten stellen müssen.
    Er reiste immer in der »Lok-Klasse«, wie der Platz neben dem Lokführer scherzhaft genannt wurde, teils für den Fall, dass plötzlich Tiere auf dem Gleis auftauchten, die geschossen oder verscheucht werden mussten, teils aus Geselligkeit. Dieser Lokführer mit dem adäquaten Namen Schnell war ein sorgloser Bayer, der einen breiten Dialekt sprach. Sie hatten immer etwas, worüber sie sich unterhalten konnten. Meist ging es um die Bürde, die Europa auf sich geladen hatte, Afrika zu zivilisieren.
    Als der Zug in den Bahnhof der Stadt einfuhr, dankte Oscar dem Lokführer für die kurzweilige Gesellschaft, sprang noch während der Fahrt ab und ging zum letzten Waggon, in dem er außer dem Mausergewehr, das er über der linken Schulter trug, und Dr. Ernsts versiegelter Aktentasche, sein Gepäck verwahrte. Er hatte Dr. Ernst sein Ehrenwort gegeben, die Tasche nur dann aus der Hand zu legen, wenn es unvermeidbar war, beim Angriff aggressiver Eingeborener oder eines Nashorns beispielsweise. Die Tasche enthielt, soweit er wusste, Berichte an die Direktion der Eisenbahngesellschaft und an die deutsche Akademie der Wissenschaften.
    Im letzten Waggon lagen zwei präparierte Löwenfelle, die er der Eisenbahngesellschaft übergeben wollte. Er hatte
zwei Askaris organisiert, die sie in die Direktion tragen sollten. Als sie die beiden starren und unhandlichen Felle ausgeladen hatten, übernahm er die Führung und schickte sich an, die Bahnhofsbaustelle zu überqueren. Aus den Augenwinkeln sah er, dass vor dem Bahndamm ein Blasorchester wartete, ungefähr dort, wo einmal das Hauptportal des Bahnhofs liegen würde. Die große Basstuba funkelte in der Abendsonne. Er schenkte der Tatsache keine weitere Beachtung.
    Er und seine Träger waren auf dem unordentlichen Bauplatz jedoch noch nicht weit gekommen, als ein Bahnbediensteter in grauer Uniform und mit weißem Tropenhelm zwischen den herumliegenden Brettern und Armierungseisen herbeieilte.
    »Herr Diplomingenieur Lauritzen! Dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten!«, keuchte der Mann.
    Oscar wurde zu der Blaskapelle eskortiert und zwischen den Askaris, die je ein steifes Löwenfell vor sich hielten, platziert. Eisenbahngeneraldirektor Dorffnagel eilte auf Oscar zu, um ihm die Hand zu schütteln, sodass dieser die Aktentasche in die linke Hand nehmen musste.
    Das Händeschütteln zog sich in die Länge. Alle mussten stillstehen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, während zwei Fotografen Bilder machten, erst mit, dann ohne Magnesiumblitz.
    Anschließend spielte die Blaskapelle »Die Wacht am Rhein«. Eisenbahngeneraldirektor Dorffnagel nahm seinen Tropenhelm ab und klemmte ihn unter den rechten Arm. Oscar klemmte sich seinen breitkrempigen Hut ebenfalls unter den Arm, ohne Dr. Ernsts Aktentasche

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