Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
– es waren auch dieses Mal sechs Männer nötig, um den riesigen, mähnenlosen Löwen zu tragen – bemerkte er, dass sein Hemd von Blut durchtränkt war und dass seine rechte Wange blutete. Seine Hand war blutverschmiert, nachdem er sich ins Gesicht gefasst hatte.
»Das waren Simbas Krallen«, erklärte Kadimba mit einem breiten Lächeln. »Bwana Oscar und ich sind jetzt Brüder. Wir haben beide die Spuren von Simbas Krallen im Gesicht und gehören damit zum selben Stamm.«
»Mehr als das, Kadimba«, erwiderte Oscar so leise, dass nur Kadimba es hörte. »Du hast mir das Leben gerettet. Du und ich, wir werden immer wissen, dass es so war.«
Dr. Ernst war auf eine Art geschwätzig munter, die Oscar geradezu unpassend fand. Der sonst so ernste Wissenschaftler trat in gewienerten hellen Lederstiefeln, Schlips und Jackett ins Zelt, hielt eine Flasche Rotwein in die Höhe und erklärte feierlich, dass nun gefeiert werden müsse. Das war so untypisch für ihn, dass Oscar den Verdacht hegte, er habe den Rest des medizinischen Alkohols getrunken.
Oscar hatte Dr. Ernst zum Essen eingeladen, nachdem dieser zehn Tage lang äußerst gewissenhaft die Verletzung auf seiner rechten Wange versorgt hatte. Anfänglich hatte sie erschreckend ausgesehen, aber der Arzt hatte sie jeden Abend mit einer gewissen Brutalität ausgewaschen, Eiter und Schorf beseitigt und die frische Wunde an der Luft trocknen lassen. Die bösartige Infektion rühre daher, dass Raubtiere, insbesondere die Aasfresser unter ihnen, eine besonders interessante Bakterienflora unter ihren Krallen hatten.
Sie hatten das Lager auf die andere Seite des Flusses hinter die drei neu gebauten Brücken verlegt und die Zelte wieder wie früher aufgestellt, in geraden Reihen statt im Kreis mit Schutzwällen aus Dornengestrüpp. Die Luft war klarer, und es lag eine einmonatige, verhältnismäßig unkomplizierte Bauetappe bis zum nächste Waldgebiet vor ihnen. Oscar und Kadimba hatten Gelegenheit zum Jagen gehabt, es gab also reichlich Fleischvorräte im Lager. Heute sollte Dr. Ernst in den Genuss eines Duiker -Steaks kommen, das so lange abgehangen war, wie Oscar es bei der Hitze verantworten konnte. Er wollte sich damit für die sorgfältige und erfolgreiche Verarztung bedanken.
Aber Dr. Ernst hatte etwas anderes und, wie sich zeigen sollte, bedeutend Wichtigeres zu feiern als die inzwischen
infektionsfreien Löwenschrammen auf einer Ingenieurswange.
»Diesen Burgunder, von dem ich im Übrigen glaube, dass er sehr gut zu Wild passt, habe ich für eine besondere Gelegenheit aufgehoben. Und die ist jetzt, Gott sei’s gedankt, endlich gekommen!«, rief er und hob die vermutlich allerletzte Weinflasche des Lagers in die Höhe, ehe er sich plötzlich besann, steif verbeugte und an den gedeckten Tisch setzte.
»Erlauben Sie mir, Ihnen zu gratulieren, Herr Doktor, aber ich wüsste natürlich gerne, worum es geht. Wohl kaum um meine entzündete Wunde?«
»Nein, wirklich nicht, Herr Diplomingenieur, bei allem Respekt, auch wenn man kleine Verletzungen natürlich nicht unterschätzen sollte, am allerwenigsten in Afrika. Aber in diesem Fall geht es um etwas viel Wichtigeres. Wir stehen nämlich vor einem ersehnten wissenschaftlichen Durchbruch.«
Dr. Ernst erhob sich leichtfüßig und holte aus dem Mahagonischrank, der seinem eigenen glich, vermutlich an der gleichen Stelle wie in seinem eigenen Schrank, den Korkenzieher, entkorkte die Flasche und erklärte, besser gesagt dozierte eifrig:
Die zur Familie der Chinarindenbäume gehörenden Cinchona calisaya und die eng verwandten Cinchona succirubra und ledgeriana wuchsen eigentlich überwiegend in den Regenwäldern der Anden. Bereits um 1820 sei es Chemikern geglückt, das Alkaloid Chinin aus der Rinde dieser südamerikanischen Bäume zu isolieren. Diese Expedition habe jedoch nun ergeben, dass sich auch in Afrika ein verwandter Baum finde, bislang noch ohne lateinischen Namen.
Er beabsichtige nun, bei der deutschen Akademie der Wissenschaften zu beantragen, die neu entdeckte Art nach sich selbst benennen zu dürfen.
Nach kurzem Zögern wurde Oscar plötzlich die Bedeutung des Gesagten bewusst.
»Wollen Sie damit etwa sagen, Herr Doktor, dass wir jetzt auch in Afrika Chinin herstellen können?«
»Ganz richtig, Herr Diplomingenieur!«, erwiderte der Arzt euphorisch, dann rückte er seinen Zwicker zurecht und hob sein Weinglas.
»Das wäre ja großartig, in wissenschaftlicher wie in praktischer Hinsicht«, meinte Oscar,
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