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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Direktion deponieren, da er es unpassend fand, bewaffnet zu dinieren.
    Eisenbahngeneraldirektor Dorffnagel erwiderte seinen bescheidenen Wunsch mit einem Lachen, dann rief er einige Untergebene herbei, die eine bewaffnete Eskorte ins Tresorgewölbe der Direktion organisierten.
    Wenig später hatte Oscar ein großes Glas schäumendes, trübes und kellerkaltes Weißbier in der Hand. Es schmeckte
himmlisch und war, wenn er die Augen schloss, wie eine Blitzreise in die zehntausend Kilometer entfernte Heimat. Wenn Deutschland als Heimat zu bezeichnen war.
    Norwegisches Bier war jedenfalls nicht so gut.
    Das Fest nahm sofort sehr deutsche Formen an. Die Blaskapelle spielte gnadenlos und hörte gar nicht mehr auf. Der Geräuschpegel stieg. Es wurden Unmengen Bier getrunken, und alle sangen mit, sogar Oscar, wenn er die Lieder kannte. Der Schweiß stand den in Uniform Gekleideten auf der Stirn, denn die trägen Ventilatoren an der Decke waren eher Dekoration. Oscar fühlte sich in seiner leichten Buschkleidung sehr wohl.
    Als Ehrengast saß er zwischen dem Generalgouverneur und dem Eisenbahndirektor, für einen einfachen Ingenieur eine erstaunliche Ehre. Der abgehackten Unterhaltung, die ständig von grölendem Gesang gestört wurde, entnahm er allmählich, was eigentlich gefeiert wurde. Etwas ganz anderes als das, was wirklich geschehen war.
    Da die Telegrafenverbindung dank der verfluchten Giraffen die meiste Zeit unterbrochen gewesen war, hatte die Direktion recht rhapsodische Berichte über die Löwenplage am Msurifluss erhalten. Dazu kam, dass der Telegrafenmeister Wilhelm Bodonya offenbar eine literarische Ader besaß. Seine Berichte über die Löwenjagd enthielten scheinbar ungeahnte Dramatik.
    Und dann waren da noch die beiden Zeitungen in Dar, die Deutschen Nachrichten und das Tanganjika Abendblatt , die sich einen Wettstreit geliefert hatten, wer die bereits übertriebenen Berichte der Direktion am besten ausschmücken konnte.
    Die Erzählung von seiner missglückten Löwenjagd, die
er ohne Kadimba vermutlich nicht überlebt hätte, hatte herkulische Dimensionen angenommen. Danach war er den Löwen im Dunkeln hinterhergeschlichen, hatte ihr Versteck in einem Dornengebüsch aufgespürt, sich hineingezwängt, den einen Löwen getötet und mit dem anderen gerungen, daher auch die Krallenspuren auf seiner Wange. Diese halb verheilte Wunde diente allen als Beweis dafür, dass die Geschichte der Wahrheit entsprach. Die beiden großen Löwenfelle würden bald eine Wand in der Direktion zieren und stellten ebenfalls einen unwiderlegbaren Beweis für seine unglaubliche Heldentat dar. Vielleicht mit Ausnahme des vernachlässigbaren Details, dass das Fell kein Einschussloch zwischen den Augen aufwies.
    Letztendlich war die Direktion für die Übertreibungen verantwortlich. Sie hatte einen Fotografen ins Lager geschickt, um die Löwenfelle zu verewigen. Oscar hatte sich vor den Fellen aufgebaut und die Sache dann vergessen, die für ihn nur eine ärgerliche Unterbrechung seines Tagewerks gewesen war.
    Blasmusik, Bier und Gesang boten kaum den richtigen Hintergrund, um die Legende zu korrigieren oder zu nuancieren. Man hätte ihm das nur als falsche Bescheidenheit oder bestenfalls übertrieben gute Erziehung ausgelegt. Also spielte er das Theater mit und stimmte den Erzählungen zu.
    Dahingegen nutzte er die ausgelassene Stimmung nach acht Krügen Bier dazu, ein Anliegen vorzubringen, das ihm unter den Nägeln brannte.
    »Herr Generaldirektor, ich habe eine Frage!«, schrie Oscar, um die Blaskapelle zu übertönen.
    »Fragen Sie, was Sie wollen, Herr Diplomingenieur!«, schrie sein höchster Chef zurück.
    In diesem Augenblick setzte die Kapelle zum Schlusscrescendo an. Oscar wartete ab, bis es vor dem nächsten Stück still wurde.
    »Ich habe auf dem Heimweg einiges Edelholz an der Bahnlinie aufgelesen, Bäume, die wir zum Bau der Gleise fällen mussten«, sagte er in normalem Konversationston. »Ist es in Ordnung, wenn ich die Baumstämme verkaufe, statt sie im Busch verrotten zu lassen?«
    »Herr Lauritzen, Sie haben der Eisenbahngesellschaft einen enormen Dienst erwiesen. Nehmen Sie von diesen Bäumen, so viele Sie wollen, und verkaufen Sie sie. Betrachten Sie es als Gratifikation«, konnte der höchste Chef gerade noch sagen und Oscar auf die Schulter klopfen, bevor die Musik erneut losdröhnte.
    Der Abend endete damit, dass sich der Generalgouverneur mit seinem Bierkrug erhob und für ein glänzendes Fest dankte. Er

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