Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
er unsicher. Er wusste nicht, was er erzählen sollte. Er bat seine älteren Kollegen daher, Fragen zu stellen. Als Erstes wollten sie wissen, wie er bei der Schneewehe seine Berechnung angestellt habe. Er beschloss, die Frage ernst zu nehmen, obwohl er fand, dass es sich um eine Selbstverständlichkeit handelte. Er griff zu Bleistift und Papier und rechnete rasch und nachvollziehbar die Gleichungen vor. Die beiden Männer lehnten sich neugierig über den Tisch.

    Sie brachen früh am Morgen in Finse auf. Lauritz hatte seine schmerzenden Glieder fast fünf Stunden lang ausruhen dürfen. Olav Berner hatte die anderen beiden weiterschlafen lassen, vor dem Haus Feuer gemacht und Kaffee gekocht. In der Ingenieursbaracke stand noch kein Herd.
    Dieser Tag war harmloser als der Vortag, an dem sie die Strecke Nygård – Finse zurückgelegt hatten. Anfänglich ging es ein Stück bergauf, aber dann wurde das Terrain
ebener, als sie in das Moldaadalen kamen, in dem kein Schnee mehr lag. Anschließend ging es durch eine wüstenähnliche Steinlandschaft nach Hallingskeid, wo Olav Berner und sein Ingenieurskollege Ole Guttormsen bereits seit mehreren Jahren wohnten. Von dort aus überwachten sie den westlichen Streckenabschnitt nach Myrdal und zum Gravehalstunnel.
    Sie legten bei dem kleinen, solide aus Stein erbauten Haus, in dem die Ingenieure wohnten, eine Pause ein und ergänzten ihren Proviant.
    Es vergingen noch einige Stunden, bis sie an zwei Seen vorbei, dem Grøndalsvand und dem Kleivevand, ans Ziel gelangten.
    Der Anblick war atemberaubend. Lauritz schnappte nach Luft, als Skavlan auf die Stelle etwa hundert Meter die Felswand hinauf deutete, an der die Brücke gebaut werden sollte. Er überspielte seine Bedenken, indem er auf die fantastische Aussicht von der fertigen Brücke verwies.
    Sie gingen das Ostufer des Flusses hinauf und setzten sich auf einen Felsen, so nahe wie möglich an der Stelle, an der das Brückenfundament in ungewisser Zukunft einmal stehen sollte. Vermutlich würden bis dahin noch mehrere Jahre vergehen. Weit unter ihnen dröhnte der Kleivefossen. Olav Berner kochte erneut Kaffee, und Skavlan zog die Pläne aus seinem Rucksack. Daneben legte er eine Landkarte der Umgebung und erklärte.
    Sie befanden sich 6,5 Kilometer östlich von Myrdal, und hier, am westlichen Berghang, würde der Kleivevandstunnel enden. Dort würde sich der Brückenbogen anschließen.
    Der einzige Transportweg zur Baustelle, das Kleivegjelet, war für Erdrutsche berüchtigt, es gab aber keine andere
Möglichkeit. Man würde mit Pferden und kleinen Fuhrwerken zurechtkommen müssen.
    Die Steine kamen aus einem zwei Kilometer entfernten Steinbruch, der Sand vom Ufer des Grøndalsvand, bis zu dem es drei Kilometer waren, der Zement aus Flaam (Distanz 25 Kilometer), und das Material für die Gerüste aus Kaupanger in Sogn, das noch weiter entfernt lag. So viel zur Logistik. Was hielt Lauritz von der Aufgabe?
    Die beiden Männer sahen ihn gespannt und neugierig an.
    Lauritz fiel keine kluge, vertrauenerweckende oder humorvolle Entgegnung ein.
    »Das wird natürlich die Herausforderung meines Lebens«, sagte er vorsichtig. »Und die größte Schwierigkeit stellt die enorme Höhe dar.«
    »Ja. Nichts auf der gesamten Bahnstrecke ähnelt dieser Herausforderung auch nur ansatzweise«, meinte Berner nachdenklich. »Wir wissen zum Beispiel nicht, wie unsere Arbeiter reagieren, wenn wir sie in diese Höhe schicken.«
    »Das ist nicht das eigentliche Problem«, wandte Lauritz vorsichtig ein. »Das Gerüst wird so konstruiert sein, dass man gar nicht in den Abgrund schauen kann. Das Problem ist Folgendes.«
    Er deutete auf den Bauplan.
    »Diese Gerüste werden nicht sehr viele Schneestürme überstehen.«
    »Hast du einen besseren Vorschlag?«, fragte Skavlan.
    Lauritz meinte eine gewisse Verärgerung aus der Stimme herauszuhören, sah aber ein, dass er keinen Rückzieher mehr machen konnte.
    »Ja, das hoffe ich zumindest«, erwiderte er. »Wir fangen
mit dem Bau doch wohl erst nächsten Sommer an, habe ich das richtig verstanden? Bis dahin haben wir viel Zeit, die offenen Fragen zu klären. Ich werde der Direktion meine Vorschläge vorlegen.«
    »Gut«, erwiderte Skavlan und reichte ihm die Hand zum Abschied. »Behalte die Pläne und die Landkarte. Jetzt gehe ich nach Hause nach Voss.«
    Er gab Berner genauso kurz die Hand, hängte sich seinen Rucksack über die Schulter und marschierte den Hang hinunter.
    »Wahrscheinlich hat er vor, noch

Weitere Kostenlose Bücher