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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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packte seinen Gefangenen erneut im Nacken. Dieser lauschte mit verängstigten Augen in die Nacht, um den Inhalt des Gesangs zu verstehen. Jetzt waren auch Trommeln zu hören. Kadimba und sein Gefangener begannen eine intensive geflüsterte Unterhaltung. Gelegentlich packte Kadimba den anderen fester im Nacken. Schließlich durfte er gehen, und Kadimba dachte wie auch sonst eine Weile nach, ehe er beschloss, was er sagen wollte.
    »Das waren gute Neuigkeiten, Bwana Oscar«, begann er. »Sie wollen heute Nacht die letzte der Frauen verspeisen, und zwar nicht, um satt zu werden, sondern um stärker zu werden. Jeder bekommt ein kleines Stück. Und morgen, wenn es hell wird, wollen sie uns angreifen, damit sich alle
satt essen können. Die Tapfersten dürfen das Herz des weißen Mannes essen.«
    »Was sind daran gute Neuigkeiten?«, fragte Oscar ohne jede Ironie, denn Ironie ging an Kadimba vorbei.
    »Das sind in der Tat gute Neuigkeiten«, antwortete Kadimba ernst, »denn hätten sie im Dunkeln unser Lager gestürmt, hätten wir sicher viele von ihnen getötet, aber am Ende hätten sie uns doch alle getötet. Aber jetzt, wenn sie uns bei Tageslicht angreifen, wird ihnen das nicht gelingen. Ihr Gesang erzählt alles.«
    »Was erzählt ihr Gesang?«
    »Dass sie einen großen Häuptling mit magischen Kräften haben, dem prophezeit wurde, dass eine schwarze Schlange mit weißen Männern von der Küste kommen wird. Die schwarze Schlange wird alles auf ihrem Weg verschlingen, wenn sie der große Kinandi-Häuptling nicht daran hindert. So stehen die Dinge. Sie haben magische Stärke dadurch erworben, dass sie eine weiße Unschuld verzehrt haben. Deshalb können ihnen unsere Kugeln nichts anhaben, da sie sich in Wasser verwandeln, wenn wir sie auf sie abfeuern. Das hat ihnen ihr großer Häuptling versichert. Damit auch alle seine große Kraft bewundern können, warten sie mit dem Angriff bis morgen.«
    »Und wie wird der ablaufen?«
    »Das geht aus dem Gesang nicht klar hervor, Bwana Oscar. Aber ich glaube trotzdem, begriffen zu haben. Sie werden jetzt mit dem letzten Fleisch eine Beschwörungszeremonie durchführen. Dann schlafen sie bis zur Morgendämmerung, beseitigen unsere Barriere aus Dornenbüschen, stellen sich vor uns auf und stimmen erneut ihren Kriegsgesang an, damit sie von Mut und wir von Furcht
erfüllt werden. Auf ein Zeichen des großen Häuptlings hin stürmen sie auf uns zu, werfen ihre Speere und laufen weiter, um auch die zu töten, die sie nicht mit ihren Assagais getroffen haben.«
    Kadimba verstummte und wartete. Er hatte alles Wesentliche gesagt.
    Oscar dachte über das nach, was er erfahren hatte, und kam zu dem Schluss, dass Kadimba mit seiner Beurteilung vollkommen recht hatte. Es waren wirklich gute Neuigkeiten. Sie konnten überleben.
    Unter der Voraussetzung, dass alle ihre Waffen so abfeuerten wie abgesprochen. Er versuchte die Wirkung eines Frontalangriffs von hundert afrikanischen Kriegern bei Tageslicht zu berechnen, gegen den sich zwölf Gewehrschützen in einem Abstand von fünfzig Metern verteidigen mussten. Das war nicht leicht. Alles hing davon ab, wie die Kinandi-Krieger reagierten, sobald sie merkten, dass sich die Kugeln des weißen Mannes mitnichten in Wasser verwandelten. Wenn sie dennoch weiterstürmten, konnten sie trotz großer Verluste, Gefallener und Verletzter, siegen. Gerieten sie aber in Panik und ergriffen die Flucht, waren sie verloren. Zumindest sah Oscar die Situation so vor sich.
    Aus der Richtung Kadimbas war leises Schnarchen zu vernehmen. Er war sich der bevorstehenden Ereignisse offenbar so sicher, dass er sich unbekümmert gestattete einzuschlafen, obwohl sie sich in einer viel gefährlicheren Situation befanden als bei der nächtlichen Löwenjagd.
    Etwas Schlaf konnte natürlich nicht schaden, falls man sich dazu überwinden konnte. Irgendwann nach Sonnenaufgang mussten Kadimba und er zusammen etwa vierzig Krieger töten, wenn sie überleben wollten. Jeder Schuss
musste treffen. Wenn jeder zweite Schuss ihrer Askari-Soldaten traf, war das viel, sie schienen der Meinung zu sein, das Knallen der Gewehre sei entscheidend. Und wo war überhaupt Dr. Ernst?
    Oscar schob sich über die Mahagonistämme und glitt zu Boden. Sein Versuch, genauso lautlos wie Kadimba auf der Erde zu landen, misslang. Er ging von einem Waggon zum nächsten und sprach mit den Askari-Soldaten, die, wie von Oscar befürchtet, bereits mit der Waffe im Anschlag warteten, weil Kadimba es für

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