Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
höchsten war, wurde nicht geräumt, sondern Sand und Asche gestreut, und die Frühlingssonne erledigte den Rest. Im Sommer wurden die Wege mit langen Stangen markiert, damit man sie im Winter wiederfand.
Nachdem zehn Tage lang hektisch Neuanstellungen vorgenommen worden waren, wurde es ruhiger. Lauritz fuhr auf Skiern zum Torbjørnstunnel, um mit Johan Svenske die Arbeiten für den Sommer zu planen. Er hatte einige neue Zeichnungen dabei, an denen er im Winter gearbeitet hatte.
Wenn Johans Arbeitergruppe die Winterarbeit im Tunnel beendete, musste er als Erstes die Arbeiter ersetzen, die nach Hause oder in die nächste Stadt in die Kneipe wollten, und zwar durch Männer, die nicht nur im Winter im Tunnel arbeiten, sondern auch im Sommer in schwindelnder Höhe auf einem Gerüst herumklettern konnten. Mit dem Brückenbau über den Kleivefossen war nicht zu spaßen, im vergangenen Sommer hatten sie beinahe zwei Männer verloren.
Deswegen begann Lauritz damit, über die von ihm geplanten Sicherheitsvorkehrungen zu sprechen. Die Arbeiter sollten das Gerüst nur mit einem kräftigen Lederhaltegurt betreten dürfen. Auf jedem Stockwerk des Gerüsts war ein Drahtseil gespannt. Drahtseil und Ledergurt waren mit einer an beiden Enden mit Karabinerhaken ausgerüsteten Leine verbunden. Wer stolperte, würde im schlimmsten Fall eine Weile über dem Abgrund baumeln, was sicher unbehaglich war, aber überleben.
Die zusätzlichen Ausgaben dafür hatte er sich von der Direktion in Voss genehmigen lassen. Skavlan hatte die
Idee gefallen. Die Karabinerhaken wollte er selbst demnächst bei einem Besuch in Bergen kaufen. Stahlseile würden zusammen mit den normalen Materiallieferungen aus Sogn kommen.
Johan Svenske schien von Lauritz’ Vorschlag nur mäßig beeindruckt zu sein. Er murmelte, es sei feige, angeleint wie ein Kind herumzulaufen. Andererseits war nicht von der Hand zu weisen, dass das mit der Höhe für viele ein Problem darstellte. Das führte bei Neuanstellungen zu Schwierigkeiten, denn da müsse er schließlich darauf hinweisen, dass seine Arbeitergruppe auf dem Gerüst hoch über dem Kleivefossen arbeitete. Auf die Frage, wer von ihnen Bedenken hätte, auf einem himmelhohen Holzgerüst zu arbeiten, würden wohl die meisten mit einer Lüge antworten.
Wenn man bedachte, wie viele furchtsame Männer es auf der Welt gab, die sich aber schließlich auch irgendwie versorgen mussten, seien Haltegurte und Karabinerhaken ein guter Vorschlag.
Dabei interessierte ihn viel mehr, ob es sich wirklich gelohnt hatte, das Gerüst zu verstärken, meinte Johan Svenske mit einem amüsierten Grinsen.
Darüber war lange diskutiert worden, nachdem Lauritz die Pläne für das Gerüst so geändert hatte, dass die Materialkosten um fast achtzig Prozent gestiegen waren. Die Arbeitsstunden hatten sich in der Folge um die gleiche Quote erhöht. Was wiederum Auswirkungen auf den Akkord hatte. Diese Fragen waren in einem langen Briefwechsel mit der Generaldirektion geklärt worden, aber der Brückenbau war dadurch bereits sehr viel teurer geworden als ursprünglich kalkuliert.
»Es gab einige üble Stürme im Winter«, meinte Johan Svenske vielsagend. »Es könnte also so gegangen sein wie mit unserem Schneetunnel vor dem Torbjørnstunnel. Hinausgeworfenes Geld, aber schließlich trifft es keinen Armen, die Gesellschaft hat Geld. Möglicherweise muss sich der Ingenieur ja einiges anhören, falls alles im Tal liegt, wenn wir hochkommen.«
Das war nicht böse gemeint, vermutete Lauritz. Eine Frotzelei unter Freunden, denn Freunde waren sie.
»Also gut, Johan, wir machen es folgendermaßen«, erwiderte er. »Wir wetten um einen Wochenlohn. Ich habe verloren, wenn das Gerüst eingestürzt ist, du, falls es noch steht. Traust du dich?«
Johan Svenske hätte natürlich nie zugegeben, sich nicht zu trauen. Sicherheitshalber betonten sie noch, dass der Verlierer seinen eigenen Wochenlohn zahlen würde, also einen Ingenieurslohn oder einen Vorarbeiterlohn. Als sie sich die Hand gaben, konnte Johan Svenske es nicht lassen, Old Shatterhand zu spielen. Lauritz unterdrückte den Schmerz, den ihm der Händedruck verursacht hatte, und tat so, als sei nichts. Das durchschaute sein Freund und wusste es zu schätzen.
Anschließend sahen sie sich die neuen Pläne für den Brückenüberbau an. Wenn alles glattging und das Wetter im Sommer nicht zu launisch war, konnten sie im Herbst fertig sein. Dann würden sie zwei weitere Sommer brauchen, um den
Weitere Kostenlose Bücher