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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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verwöhnt.
    Bei jedem Steg, an dem die Ole Bull anlegte, kamen die Touristen an Deck und bewunderten lautstark die Aussicht. Wenn der Dampfer wieder ablegte, verschwanden sie im Salon. Ihr Verhalten wirkte befremdlich und komisch, und Lauritz musste jedes Mal lächeln, wenn sich die Szene wiederholte.
    Je näher sie dem Landungssteg in Tyssebotn kamen, desto bedrückter wurde er. Natürlich wollte er seine Mutter wiedersehen, er liebte sie, wie jeder gute Sohn seine Mutter liebt, und er bewunderte ihre stoische Stärke. Ihm traten immer Tränen in die Augen, wenn er an die Tragödie dachte, die sie heimgesucht hatte.
    Es war auch nicht diese naturgegebene Liebe zu seiner Mutter, die das beklemmende Gefühl in ihm auslöste, vermutlich war es eher die Unruhe oder geradezu Angst davor, mit ihr zu reden. Er wusste nicht, was er über Oscar und Sverre sagen sollte, gestand er sich schließlich ein, als das Schiff an dem Steg anlegte, der einmal sein Heimathafen gewesen war. Gewesen war?
    Ja, das war nicht mehr sein Zuhause, und wo auch immer er in Zukunft wohnen würde, in Bergen, Dresden oder Berlin, Frøynes würde nie mehr etwas anderes sein als der Ort, an dem er wie jetzt seine Mutter besuchte.
    Wenn sie dieses Mal miteinander sprechen würden, und das erschien ihm unausweichlich, was sollte er dann über Oscar und Sverre sagen, seine Brüder, die ihn im Stich gelassen hatten? Das, genau das war der springende Punkt, dort fand sich der Grund für sein Unbehagen. Er war fast erleichtert, als er das Problem so klar benennen konnte.
    Als die Laufplanke angelegt wurde, geriet er in die Schlange der deutschen Touristen, die hier offenbar alle an Land gehen wollten. Der Grund war ein kleiner Stand am Ende des Landungsstegs mit einem handgeschriebenen Zettel mit der kryptischen Botschaft »Trøjen und Lusekoften«.
    Hinter dem Tisch stand eine junge blonde Frau in einer Tracht, die er noch nie in Tyssebotn gesehen hatte, mit schwarzer statt grüner Weste und kurzen Ärmeln. Auf diese Frau hielt die Touristenherde zu. Sofort wurde gehandelt, Geldscheine und »Trøjen und Lusekoften« wechselten unter eifrigem und immer lauterem Feilschen rasch den Besitzer. Als er näher kam, erkannte er die junge Frau, die für den Verkauf verantwortlich war, es war seine Cousine Solveig, die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Damals war sie noch ein Kind gewesen, jetzt war sie eine bildhübsche junge Frau.
    Er stellte seine Reisetasche ab und betrachtete das Schauspiel. Die Käufer drängten sich um den Stand. Die gestrickten Pullover und Jacken waren sehr schön, die kunstvollen
Muster und die kobaltblaue Farbe sprachen eine deutliche Sprache. Das waren die Arbeiten seiner Mutter, um die sich die Touristen rissen.
    Bald war nur noch eine Kundin übrig, die sich am letzten Pullover festklammerte, während die übrige Gesellschaft fröhlich zum Dampfer zurückkehrte und ihre Einkäufe miteinander verglich. Als er neugierig näher trat, stellte er verblüfft fest, dass die Frau feilschte. Sie wollte nur zwanzig Kronen statt fünfundzwanzig zahlen, was nur knapp vier Mark entsprach! Das machte ihn wütend.
    »Entschuldigen Sie, dass ich etwas spät zu dem Handel dazukomme«, sagte er zu der deutschen Dame, die in seinem Alter und ziemlich elegant gekleidet war. »Ich biete vierzig Kronen für diesen ausgezeichneten Pullover.«
    Er öffnete sein Portemonnaie, zog langsam vier Zehnkronenscheine heraus und legte sie auf den provisorischen Tresen vor seine Cousine, die ihn nicht erkannt zu haben schien.
    Die deutsche Frau hielt ihre Beute noch fester.
    »Mein Herr, Sie sind nach mir gekommen, Sie sollten daran denken, was die Höflichkeit fordert«, sagte sie.
    »Und Sie, gnädige Frau, bieten nur zwanzig Kronen für ein hübsches Kleidungsstück, das bei Ihnen in Berlin hundertfünfzig Kronen kosten würde«, sagte er mit einer höflichen Verbeugung.
    »Woher wissen Sie, dass ich aus Berlin komme?«
    »Das hört man, gnädige Frau.«
    »Und Sie, mein Herr, sind aus Sachsen. Und wieso mischen Sie sich ein?«
    »Warum versuchen Sie, einen ohnehin zu niedrigen Preis herunterzuhandeln?«
    »Man darf die Naturbevölkerung nicht verwöhnen, das ist unsere Verantwortung!«
    Naturbevölkerung? Er war so verblüfft und sprachlos, dass die Frau aus Berlin bereits glaubte, sowohl den Disput als auch den Pullover gewonnen zu haben. Verächtlich warf sie zwei Zehnkronenscheine auf den Tresen und wollte gehen.
    »Der Pullover gehört Ihnen, wenn

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