Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Man wies ihm einen Tisch und einen Stuhl an, die als Zeugenbank dienten. Er schwor einen Eid auf die Bibel. Mit Gottes Hilfe wollte er die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit. Daraufhin erteilte der Vorsitzende dem Staatsanwalt das Wort.
Hauptmann Schmid trat vor und bat ihn, erst einmal die ganze Geschichte vorzutragen, bevor man zu den Fragen übergehen würde. Aus dem erhitzten Publikum, fast alle hielten einen Fächer in der Hand, war erwartungsvolles Murmeln zu hören.
Er versuchte so knapp und korrekt wie möglich zu berichten, von seinen Beobachtungen bei der geplünderten Missionsstation, dann vom Kampf beim Eisenbahnerlager.
Die fürchterlichsten Details versuchte er auszulassen und hatte das Gefühl, dass darüber sowohl Staatsanwalt als auch Publikum enttäuscht waren. Das hätte ihm klar sein müssen. Warum sonst waren so viele gute Bürger gekommen, wenn nicht wegen der Schauergeschichten? Dafür war der Staatsanwalt zuständig, fand er, er wollte sich an die Wahrheit halten.
»Ihr Bericht war vorbildlich kurz und sachlich, Herr Diplomingenieur Lauritzen«, begann der Staatsanwalt sein eigentliches Zeugenverhör und trat in seinem roten Umhang vor die Richterbank. »Es bleiben trotzdem noch einige Fragen offen. Sie sagten, Sie hätten die Eheleute Joseph und Elise Zeltmann sowie ihre Tochter Roselinde ermordet und an Pflöcke gefesselt vorgefunden. Ich muss Sie leider fragen: Wie wurden sie ermordet?«
Oscar schluckte und holte tief Luft. Im Saal wurde es vollkommen still, und nur das leise Quietschen der Deckenventilatoren war zu hören.
»Elise und Joseph wurden zuerst gefoltert und dann verstümmelt, da haben sie noch gelebt. Ich meine, sie haben auch noch gelebt, als sie verstümmelt wurden, beim Foltern sowieso …«, antwortete er nervös und etwas wirr.
»Ich verstehe, dass es Ihnen schwerfällt, Herr Diplomingenieur«, sagte der Staatsanwalt milde, fast mitfühlend. »Ich bitte Sie trotzdem, sich zusammenzunehmen. Wie wurden sie verstümmelt, und wie können Sie wissen, ob das vor oder nach ihrem Tode geschehen war?«
Oscar schwindelte. Er wollte nicht daran denken, hatte aber den Befehl erhalten, sich zusammenzunehmen. »Elise hat man bei lebendigem Leib beide Brüste abgeschnitten und Joseph seinen … seine Genitalien, während
er noch lebte, und sie ihm nach seinem Tod in den Mund gestopft.«
»Was veranlasst Sie zu diesem Schluss?«
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Ich meine, wie können Sie feststellen, was vor und was nach dem Tode geschah?« Die Stimme des Staatsanwalts klang plötzlich scharf, als verhöre er einen Verdächtigen. Oscar musste sich anstrengen, korrekt und sachlich zu antworten.
»Wenn man einen lebenden Menschen verstümmelt, blutet es sehr stark«, antwortete er verbissen. »Nach dem Tod, wenn das Herz nicht mehr schlägt und es keine Blutzirkulation mehr gibt, bluten auch sehr große Wunden kaum noch. Das lernt man bei der Jagd. Und da sowohl Elise als auch Joseph ertrunken sind, können Josephs Geschlechts… Genitalien erst nach seinem Tode in seinem Mund platziert worden sein.«
Im Saal hinter ihm entstand ein Tumult. Eine Frau schrie auf, eine andere wurde ohnmächtig und fiel zu Boden. Eine tiefe Männerstimme forderte, diese verdammten Hunde sofort zu erschießen.
Der Vorsitzende Dr. Goldmann, der ebenso wie der Staatsanwalt einen roten Umhang trug, schlug energisch mit seinem Hammer auf den Tisch und drohte, den Saal räumen zu lassen, wenn Störungen, Meinungsäußerungen oder die unangemessene Geräuschkulisse nicht aufhörten. Rasch wurde es still, und der Staatsanwalt konnte fortfahren.
»Sie sagen, Herr Diplomingenieur, das Ehepaar sei ertrunken«, fuhr der Staatsanwalt fort. »Mitten auf einem Hofplatz? Wie soll das zugegangen sein?«
»Die Köpfe der Ermordeten waren mit Pflöcken am Boden fixiert worden …«, begann Oscar, musste jedoch innehalten und sich sammeln, ehe er fortfahren konnte. »Ihre Münder waren mit Keilen aus hartem Akazienholz aufgesperrt und ihre Nasenlöcher mit Lehm verschmiert. Die Kinandi haben ihren Opfern in die geöffneten Münder uriniert …«
Wieder gab es einen Tumult im Saal. Einige Frauen mussten ins Freie geführt werden, es wurde jedoch nicht wieder das sofortige Lynchen gefordert, und der Vorsitzende des Gerichts begnügte sich damit, die Versammelten streng anzusehen.
»Damit kämen wir zu Ihren Beobachtungen, den Kannibalismus betreffend, Herr Diplomingenieur?«, fuhr der Staatsanwalt
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