Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
vor, als sei er in eine Falle getappt. Seine Gedanken gingen im Kreis.
»Ich muss den Zeugen dazu auffordern, die Frage zu beantworten«, erklärte der Vorsitzende streng. »Sie stehen immer noch unter Eid, Herr Diplomingenieur.«
»Ja, das ist ebenfalls eine plausible Erklärung, ich kann diese Deutung nicht von der Hand weisen, Herr Anwalt«, erwiderte Oscar schließlich.
»Ausgezeichnet«, fuhr der Anwalt fort. »Und wie sah es mit ihrer Bewaffnung aus? Haben Sie mit eigenen Augen gesehen, dass die beiden Angeklagten Kiskunta und Kiskinte Waffen in den Händen hielten, als der Angriff auf die Eisenbahn begann?«
»Das ist nicht der Fall. Die Männer mit den Straußenfedern standen in einer Reihe hinter ihrem Anführer, der ein sehr großer Mann war. Auf ihn habe ich meinen ersten Schuss abgegeben. Danach brach recht bald Chaos aus«, antwortete Oscar, während er darüber nachdachte, ob das, was er eben gesagt hatte, wahr war oder nicht. Doch, es entsprach der Wahrheit.
»Haben Sie gesehen, ob andere dieser besonders geschmückten Männer, die Sie also erschossen haben, Waffen in den Händen hielten?«, fragte der Anwalt ruhig weiter.
»Ihr Anführer trug zweifellos Waffen, einen Assagai in
jeder Hand. Wie gesagt war er sehr groß, sodass die anderen, die hinter ihm standen, nicht zu sehen waren.«
»Sie haben also nicht gesehen, ob irgendeiner der übrigen mit Federn geschmückten Männer hinter dem Anführer eine Waffe trug?«, erkundigte sich der Anwalt mehr konstatierend als fragend.
»Nein, aber alle anderen Krieger um sie herum trugen Speere und Schilde, ich nahm also an, dass …«
»Ich darf Sie, mit allem Respekt natürlich, daran erinnern, dass Sie unter Eid stehen und dass es hier nicht um Mutmaßungen geht«, unterbrach ihn der Anwalt. »Sagen Sie bitte nur, was Sie wissen und wirklich gesehen haben! Wir können also zur nächsten Frage übergehen. Haben Sie gesehen, dass einer der Angeklagten hier im Saal eine Straftat begangen hat?«
»Sie haben alle an dem Überfall teilgenommen«, wandte Oscar etwas lahm ein.
»Ich fürchte, dass es sich dabei auch um eine Mutmaßung handelt. Meine Frage ist sehr präzise. Hier auf der Anklagebank sitzen sechs Männer. Haben Sie gesehen, dass einer von ihnen eine Straftat begangen hat?«
»Aber alle …«, versuchte es Oscar erneut.
»Herr Diplomingenieur, Sie müssen schon entschuldigen, es ist auch nicht persönlich gemeint, ich will Sie nicht zurechtweisen. Aber mit Erlaubnis des hohen Gerichts, davon gehe ich jedenfalls aus, muss ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass das deutsche Strafgesetzbuch die Kollektivschuld nicht kennt. Das bedeutet, dass man jedem einzelnen der Angeklagten seine Straftaten nachweisen muss. Ich frage Sie also erneut. Haben Sie einen dieser Männer dabei beobachtet, wie er eine Straftat begangen hat?«
Oscar warf dem Vorsitzenden Dr. Goldmann einen flehenden Blick zu. Dieser saß gespannt vorgebeugt da, seinen Blick auf den Verteidiger gerichtet. Als er merkte, dass ihn der Zeuge um Hilfe bat, setzte er sich rasch auf, räusperte sich und sah Oscar an.
»Herr Diplomingenieur, der Anwalt hat vollkommen recht. Ich muss Sie bitten, die Frage zu beantworten.«
Oscar hatte das Gefühl, sich verteidigen zu müssen, als würde man seine Aussagen plötzlich in Zweifel ziehen. Die Wut darüber ließ ihn wieder klarer denken. Alle Angeklagten hätten nachweisbar an dem entscheidenden Angriff teilgenommen, sagte er, als Beweis gab er ihre Verletzungen durch die Kugeln an, gleichgültig, wie schwer sie waren. Anschließend seien sie auf dem Schlachtfeld gefangen genommen worden. Also seien sie Banditen.
Der Richter schien zufrieden zu sein. Er lächelte sogar darüber, wie Oscar sich aus seiner Verlegenheit befreit hatte. Der Verteidiger gab jedoch nicht so schnell klein bei.
»Sagen Sie mir, Herr Diplomingenieur«, begann er mit etwas lauterer Stimme, denn im Saal wurde unruhig gemurmelt. Das Publikum fand offenbar, dass die juristischen Haarspaltereien allmählich zu weit gingen.
»Sagen Sie mir, Herr Diplomingenieur«, wiederholte der Anwalt, »fühlen Sie sich wirklich ernsthaft von einem Mann bedroht, der unbewaffnet mit einem Federbusch auf dem Kopf auf Sie zuläuft, weil er glaubt, dass er Ihre Kugeln in Wasser verwandeln kann?«
»Ich weiß nicht, worauf Sie mit dieser Frage hinauswollen, Herr Leutnant«, erwiderte Oscar ausweichend.
»Ich will versuchen, es einfacher zu formulieren«, fuhr der Verteidiger fort. »Sie
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