Die Brueder des Kreuzes
1133 gewesen. Karel hatte einen Kontrakt mit einem deutschen Edelmann geschlossen, Konrad von Hohenstaufen, dem späteren König Konrad III. Karel hatte Konrad zwölf Jahre lang gedient und war dann aus unbekannten Gründen aus seinem Dienst ausgeschieden. In dieser Zeit war aus dem Flüchtling ein geachteter Offizier geworden. Nach dem Ende seiner Anstellung beim König der Deutschen hatte ihn Henrys Vater angeheuert, um seine Männer in der Handhabung moderner Waffen zu unterweisen.
»Zu dem Zeitpunkt ist er in mein Leben getreten, denn auch nach dem Ende seines Kontraktes blieb er im Dienst meines Vaters, um meine militärische Ausbildung zu übernehmen. Und das hat er zehn Jahre lang auf unnachahmliche Weise getan.«
André saß vornübergebeugt auf seinem Sessel und hörte aufmerksam zu.
»Willst du damit sagen, er war mit deiner gesamten Ausbildung betraut – oder nur, dass er dich das Kämpfen gelehrt hat?«
Sein Vater zog eine Schulter hoch.
»Beides zugleich, denn für Karel gab es da keinen Unterschied. Für ihn war es das Gleiche, ob man kämpfen oder schreiben lernte. Die Werkzeuge, die wir für beides benutzen, mögen zwar unterschiedlich scheinen, hat er oft gesagt, doch wir kontrollieren sie alle mit unserem Verstand, und es ist die Art, wie wir unseren Verstand einsetzen, die uns von den anderen unterscheidet und die Ursache dafür ist, wenn sich ein Mann aus der Masse seiner Kameraden heraushebt und sie überragt, ganz gleich, welcher Aufgabe sie nachgehen mögen.«
André sah ihn mit großen Augen an.
»Dieser Karel scheint ja ein ungewöhnlicher Mensch gewesen zu sein.«
»Ich glaube nicht, dass ich einen besseren Lehrer oder Fechtmeister hätte haben können. Du hättest ihn sicher sehr gemocht. Aber er ist vor deiner Geburt gestorben.«
»Von alldem hast du mir noch nie erzählt«, sagte André beinahe vorwurfsvoll.
»Du hattest als Junge deine eigenen Lehrer, und Karel war tot. Warum hätte ich dich mit Geschichten über einen Toten langweilen sollen? Ich habe allerdings versucht, seine Weisheit an dich weiterzugeben.«
Gedankenverloren hielt Sir Henry kurz inne, dann fuhr er fort.
»Du musst wissen, dass sich niemand je danach erkundigt hat, was mich Karel gelehrt hat. Inzwischen weiß ich, dass es niemanden interessiert hat. Mein Vater konnte nicht lesen und schreiben, aber konnte mich jeden Tag auf dem Übungsplatz beobachten und sehen, dass ich gute Fortschritte machte. Das hat ihm gereicht. Meine Mutter, die gestorben ist, als ich vierzehn war, war damals schon krank und hatte weder die Kraft noch den Wunsch zu kontrollieren, was ich lernte. Und sonst gab es niemanden.«
Henry senkte den Blick auf den Weinkelch in seiner Hand.
»Doch zum Glück gab es für mich nichts Schöneres als zu Karels Füßen zu sitzen und erstaunliche Geschichten zu hören. Je älter ich wurde, desto offener hat er mit mir über seine Überzeugungen gesprochen und darüber, welche Verantwortung Gott jedem Menschen mitgegeben hat. Er hat mich vieles über Gott und das Göttliche gelehrt – Rechtschaffenheit und Frömmigkeit, Dinge, die den meisten Menschen und sogar Priestern fremd waren und sind. Und er hatte sehr bestimmte Ansichten über das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen.«
»Wie ist er gestorben?«
»An einer Seuche, die sich damals rasend schnell ausgebreitet hat. Sein Tod hat eine große Lücke in meinem Leben hinterlassen, die erst durch die Begegnung mit deiner Mutter wieder gefüllt wurde. Doch ich weiß noch genau, dass er bei unser letzten Begegnung mit mir genau über dieses Thema gesprochen hat, über die Juden und den weit verbreiteten Hass, dem sie sich ausgesetzt sehen.«
»Oh?« André musterte ihn fragend.
»Karel konnte den Judenhass nie verstehen, weil er allem zu widersprechen schien, was er schon als Kind gelernt hatte. Er hat mich einmal gefragt, warum ich glaube, dass man die Juden für das Schicksal des Heilands verantwortlich macht.«
Henry lächelte in sich hinein.
»Doch bevor ich ihm nur einen einzigen Grund nennen konnte, hat er dagegengehalten, dass wir doch alle glauben, dass Jesus in die Welt gekommen ist, um sein Leben zur Tilgung unserer irdischen Sünden hinzugeben. Wenn wir das glauben, müssen wir auch glauben, dass die Ereignisse, die zu seinem Tod geführt haben, Teil des göttlichen Plans waren und der allwissende Gott für jede Einzelheit dieses Plans seinen Grund hatte. Warum sollte man also allein die Juden dafür verteufeln? Ihr Gott sei
Weitere Kostenlose Bücher