Die Brueder des Kreuzes
du mir eine solche Grausamkeit schildern kannst?«
»Nun, würde dir ein Bericht reichen, dass die Wachen des Königs auf die Straßen geschickt werden, um dort alle Juden zu verhaften, die sie finden können, damit sie die Gäste des Königs beim Abendessen unterhalten? Dabei darfst du nicht vergessen, dass diese ›Unterhaltung‹ darin besteht, sie festzuhalten, während man ihnen mit einer Zange die Zähne zieht … alle Zähne.«
Die folgende Pause schien nicht enden zu wollen. André saß angespannt da und beugte sich vornüber, während er auf die Antwort seines Vaters wartete.
»Hast du das selbst gesehen? Bist du dabei gewesen?«
»Nein, das bin ich nicht. Ich scheine das Glück zu haben, bei solchen Gelegenheiten stets abwesend zu sein. Aber es ist nicht nur einmal vorgekommen, und es ist mir jedes Mal von Augenzeugen berichtet worden, deren Wort ich vertraue.«
»Und was sind das für Leute?«
André zuckte mit den Achseln.
»Zum Beispiel der Ritter, den ich dir heute vorgestellt habe, Bernard de Tremelay.«
»Du vertraust ihm, sagst du?«
»Unbedingt, Vater. Ich kenne ihn seit acht Monaten, und er ist seit diesen Anfangstagen mein engster Freund.«
Sir Henry sah seinen Sohn an und zog eine Augenbraue hoch.
»Das finde ich seltsam. Du schließt doch sonst nicht so schnell Freundschaften.«
»Ich weiß. Aber wir haben uns von Anfang an gemocht, vielleicht ja wegen der Umstände, unter denen wir uns kennengelernt haben. Wir waren die einzigen jungen Männer in einer Ansammlung humorloser Graubärte. Wir haben einfach gern zusammen gelacht. Er hat mir genau beschrieben, wie sie einen besonders unglücklichen Juden gefoltert haben. Ich war damals in London, und Bernard hat es mir bei meiner Rückkehr erzählt. Er war erschüttert, und ich finde seinen Bericht ebenfalls erschütternd.«
»Und du sagst, Richard billigt diese Vorgänge?«
André stieß ein Geräusch aus, das wohl ein schroffes Auflachen war.
»Ob er sie billigt? Er lädt dazu ein. Vater, dies ist Richards merkwürdige Methode, seine Freunde zu unterhalten.«
André richtete den Blick auf seinen verblüfften Vater.
»So wie ich es verstanden habe, war es beim ersten Mal eine Zufallslaune. Ein Mitglied des Goldenen Clans hat davon gesprochen, dass er Schwierigkeiten mit einem Juden hatte, dem er Geld schuldete –«
»Der Goldene Clan? Was bedeutet das?«
André schüttelte stirnrunzelnd den Kopf.
»Entschuldige, Vater, davon kannst du natürlich nichts wissen, und du würdest es wohl auch kaum gutheißen. Es ist eine abschätzige Bezeichnung für Richards ständige Begleiter – Männer von der unnatürlichen Sorte, die keine Verwendung für Frauen haben. Ursprünglich hat man sie die Güldenen Kastraten genannt, aber kastriert sind sie ja nun wirklich nicht.«
»Ah. Was hat dieser Mann also über diesen Juden gesagt?«
»Er würde verbissen auf eine Rückzahlung drängen oder so ähnlich. Jedenfalls hat Richard gekontert, ›Nun, dann reißen wir dem Hurensohn doch die Zähne heraus!‹, und seine Wachen losgeschickt, um den Juden in seinem Leihhaus zu verhaften und ihn zum König nach Westminster zu bringen. Am selben Abend haben sie ihm beim Essen öffentlich die Zähne gezogen, und diese Darbietung war offenbar ein solcher Erfolg, dass sie inzwischen schon ein paar Mal wiederholt wurde, wenn dem König oder seinen Gästen langweilig war. Er schickt einfach nur seine Männer los, um einen Juden zu holen. Die Tatsache, dass sie Juden sind, reicht als Grund für ihre Bestrafung aus.«
»Gott im Himmel!«
Sir Henry klappte der Mund auf, und er tastete nach seiner Sessellehne, bevor er sich wieder niederließ.
»Das ist ja …«
Die Stimme versagte ihm; sein Mund bewegte sich zwar, doch es kamen keine Worte heraus, bis er den Versuch aufgab, schluckte und langsam den Kopf schüttelte.
»Das ist ja eine Schande. Und es hat sich noch niemand beschwert? Was ist mit den Bischöfen?«
Doch er winkte schon selbst ab, noch während er die Frage aussprach.
»Nein, das wäre Zeitverschwendung. Sie würden Richard am Ende noch ermuntern. Aber einige der Adelsherrn müssen sich doch über solche Schandtaten beschwert haben.«
»Beschwert?«
André St. Clair klang so, als wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
»Bei wem sollten sie sich denn beschweren, Vater? Beim König? Über sein eigenes Verhalten? Würdest du das wagen?«
Er verbat sich die Antwort auf diese Frage mit erhobener Hand.
»Ja, das würdest du
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