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Die Brueder des Kreuzes

Die Brueder des Kreuzes

Titel: Die Brueder des Kreuzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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doch derselbe Gott wie der unsere. Sollte er sie im Stich gelassen haben, um uns allein zu stärken? Oder sollten wir glauben, dass die Juden die einzigen Sünder unter allen Menschen seien – und dass sie allein damit das Opfer des Heilands erst nötig gemacht hätten? Dass alle anderen Völker, auch die arroganten Römer, erst hinterher zu Sündern geworden seien, angesteckt von der Verruchtheit der Juden?«
    Sir Henry schüttelte den Kopf.
    »Ich muss damals zwölf gewesen sein, und ich weiß noch, dass ich selbst in diesem jugendlichen Alter in der Lage war, die Dummheit hinter diesen Fragen zu durchschauen. Ich weiß noch, wie ich Karel gesagt habe, was ich dachte, und ganz erstaunt war, dass er derselben Meinung war. ›Natürlich ist es Unsinn‹, hat er gesagt und ist mir durch die Haare gefahren, wie immer, wenn er mit mir zufrieden war. ›Es ist eine Beleidigung für jeden denkenden Menschen. Wenn die Juden je die einzigen Sünder auf der ganzen Welt gewesen wären, hätte es gar keinen Grund für die Entstehung des Christentums gegeben. Die Juden haben sich doch ohnehin für das auserwählte Volk gehalten; für sie hätte nur ein jüdischer Messias auf die Welt kommen und ihren Gesetzen Genüge tun müssen. Aber es ist anders gekommen. Die Botschaft hat sich von Israel aus in alle Länder der jetzigen Christenwelt ausgebreitet. Dem gibt es nichts entgegenzusetzen, oder? Sag mir also, kleiner Henry, was, glaubst du, ist der wahre Grund für all diesen Unsinn über die Juden?‹«
    »Hast du eine Antwort für ihn gehabt?«
    Sir Henry zog eine Augenbraue hoch.
    »Hättest du eine gehabt, selbst in deinem jetzigen Alter?«
    André neigte lächelnd den Kopf, um seinem Vater anscheinend recht zu geben. In Wahrheit jedoch dachte er, dass er die Frage ausführlich und zu Karels Zufriedenheit hätte beantworten können.
    Doch er nickte nur und fragte: »Und was hat er dann gesagt?«
    »Etwas, das ich nie vergessen habe. Er hat gesagt, es seien die Priester gewesen – Karel hat immer gern alles auf die Priester und auf die Kirche im Allgemeinen geschoben –, die schon in den Anfangstagen der Kirche judenfeindlichen Schmutz verbreitet hätten, wann immer sie einen Sündenbock brauchten, um von ihrem eigenen Tun abzulenken. Die Juden hätten sich als leichte Zielscheibe erwiesen, sagte er, und die Kirche hat sich das gemerkt, und der Ruf ist an ihnen haften geblieben.«
    Es entstand eine kurze Pause, bevor André fragte: »Und glaubst du an diese Erklärung mit dem Sündenbock, Vater?«
    Sir Henry war seit Beginn ihrer Unterhaltung immer tiefer in seinen Sessel gerutscht, und inzwischen lag er fast darin, die Füße übereinandergeschlagen, das Kinn auf die Brust gedrückt. Jetzt verzog er das Gesicht und zog sich wieder hoch, um nach seinem Becher auf dem Boden zu greifen.
    »Ich habe schon immer daran geglaubt.«
    Er nippte an seinem Wein und schnitt eine Grimasse.
    »Igitt! Mein Wein ist warm geworden … zu nah am Feuer.«
    Er stand auf und griff nach Andrés Becher.
    »Gib her. Der Krug müsste noch kalt sein. Einen noch vor dem Schlafengehen, ja?«
    Als er mit den frisch gefüllten Bechern zurückkehrte, hatte André noch einmal Holz nachgelegt. Jetzt sah er zu, wie die Flammen die Scheite umzüngelten. Er nahm seinen Becher entgegen, ohne aufzublicken, und Henry setzte sich wieder und sprach weiter, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben.
    »Ich bin überzeugt, dass man die Juden als Sündenböcke missbraucht, aber ich kann dir nicht sagen, warum oder seit wann. Ich kann dir allerdings sagen, dass es nicht immer so gewesen ist. Die Bewohner Judäas sind von jeher ein streitsüchtiges Volk gewesen, in dem schon lange vor Jesu Geburt Zwietracht herrschte, und wer ihren Glauben an ihren grimmigen, unbarmherzigen Gott nicht teilte, bekam ihre ganze Unduldsamkeit zu spüren. Es ist historisch verbrieft, dass sie den Römern verhasst waren, weil sie ständig für Aufruhr sorgten. Gemessen an der Größe des Imperiums war die Provinz Judäa winzig klein, doch sie war immer wieder der Schauplatz unverhältnismäßig heftiger ziviler, religiöser und militärischer Unruhen. Als ihr rebellisches Volk schließlich so weit ging, den Römern den Krieg zu erklären, ging dies den Machthabern zu weit, und sie haben den ganzen Unruheherd vernichtet.«
    Henry trank einen Schluck Wein, um sich die Kehle anzufeuchten.
    »Sie haben ihre Legionen nach Palästina geschickt, die Stadt Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht

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