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Die Brueder des Kreuzes

Die Brueder des Kreuzes

Titel: Die Brueder des Kreuzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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wahrscheinlich. Aber was würdest du damit erreichen? Im besten Fall würdest du ihn wütend machen, weil du ihn beleidigt hast. Und im schlimmsten Fall, was? Wer weiß? Wir sprechen hier von Richard Plantagenet ! Außerdem würde dich ohnehin jeder für verrückt halten, wenn du etwas sagen würdest – sich für einen Juden einsetzen? Niemand würde Mitleid mit dir haben, ganz gleich, was Richard dir antäte. Du wärst allein, und du hättest keine Chance.«
    »Genau wie du, wenn du etwas sagen würdest.«
    Sir Henrys gemessener Tonfall war voller Bedauern.
    »Was willst du also tun, mein Sohn? Es scheint ja klar zu sein, dass du nicht so weitermachen möchtest.«
    Doch André widersprach.
    »Nein, Vater, das stimmt nicht, und das ist es, was diese Entscheidung für mich so schwierig macht. Es mag ja sein, dass es für dich klar ist, dass ich, wie du es formulierst, nicht so weitermachen möchte. Aber mir ist es alles andere als klar. Ich habe inzwischen viele Verpflichtungen, doch nur wenige sind mir von Richard aufgetragen worden. Ich bin vor allem Robert de Sablé verpflichtet. Er wiederum ist an Richard gebunden – und er weiß nichts von den Dingen, über die wir hier reden.«
    Andrés Miene nahm etwas Flehentliches an.
    »Das Beängstigende daran ist, dass ich trotz allem immer noch viel Bewundernswertes in Richard sehe. Der Mann ist ein Phänomen, sowohl was seine Stärken als auch seine Schwächen betrifft. Er ist ein Widerspruch in sich. So grausam, unmenschlich und ungerecht er gegen die Juden sein mag – gleichzeitig jedoch besitzt er all die militärischen Tugenden und Fähigkeiten, nach denen auch ich strebe. Und sein Volk – seine Völker – scheinen ihn zu lieben, zumindest aus der Ferne, ganz gleich, ob in der Normandie, in England, in der Bretagne, in Aquitanien oder Anjou oder daheim in Poitou. All seine Verbündeten in der neuen Armee blicken zu ihm auf und sind stolz, zu seinem Heer zu zählen, sogar Philip August und der Graf von Flandern. Also kann ich mich nicht recht entscheiden, was ich tun soll – doch ich werde nicht aus der Armee ausscheiden. Vielleicht sollte ich einfach hoffen, dass mich der König nicht zum Abendessen einlädt.«
    André erhob sich und stellte seinen Becher auf den Tisch.
    »Es ist spät. Das Feuer ist fast heruntergebrannt. Ich bin zwar selbst nicht müde, aber ich habe dich schon viel zu lange wachgehalten, Vater. Ich werde noch einen Abendspaziergang machen und dich schlafen lassen. Du musst im Morgengrauen zum Appell antreten und ich nicht, also kann ich später aufstehen als du … Aber ich muss noch über vieles nachdenken, bevor ich schlafen gehe.«
    André lächelte ein schiefes Lächeln, dann umarmte er seinen Vater herzlich.
    »Danke, dass du mir zugehört ha st. Schlaf gut.«
    Henry entkleidete sich langsam. Er blies die letzte Kerze aus und ging zu Bett. Na ch allem, was er heute Abend von seinem Sohn gehört hatte, rechnete er nicht damit, bald zur Ruhe zu kommen, doch er schlief beinahe auf der Stelle ein.

6
    A
    NDRÉ ST. CLAIR hatte an diesem Abend nach dem Gespräch mit seinem Vater über vieles nachzudenken. Ohne recht zu merken, wohin er ging, stand er plötzlich dem Wachtposten auf den Zinnen des höchsten Schlossturms von Baudelaire gegenüber, der ihm die Losung abverlangte. Er nannte das Losungswort, gab sich zu erkennen und stützte sich dann auf eine der Zinnen, um in die Dunkelheit hinauszublicken. Hätte er sich über die Balustrade gebeugt, hätte er unten die allmählich herunterbrennenden Lagerfeuer der Armee gesehen, die sich an den Uferwindungen der Loire entlangzogen. Doch vor sich im Westen sah er nichts, denn der drückende Himmel war mondlos und bewölkt. Seufzend wandte er der Leere den Rücken zu, lehnte sich an die Balustrade und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann überließ er sich seinen Gedanken.
    Am nächsten Morgen würde er mit Richard und seiner Armee nach Vézelay aufbrechen, einem Ort in Burgund, an dem der Legende nach vor zwölfhundert Jahren die Gebeine der heiligen Maria Magdalena bestattet worden waren. Er lag drei Tagesmärsche westlich von Baudelaire und war der offizielle Sammelpunkt für die Armeen der westlichen Christenwelt, seit der Zisterzienserabt Bernard von Clairvaux dort vor fünfundneunzig Jahren die Soldaten Christi ausgesandt hatte, um das Heilige Land von den Seldschuken zurückzuerobern.
    Nun, im Juni des Jahres 1190, würde sich das mächtige Frankenheer dort sammeln, um von Mutter

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