Die Brueder des Kreuzes
und Bischöfe.«
Harry brachte sein Pferd jäh zum Stehen und wartete stirnrunzelnd auf der Stelle, bis die beiden anderen zu ihm zurückritten.
»Was ist denn da der Unterschied?«, fragte er dann.
Ihre Pferde standen Nase an Nase im Wüstensand, sodass die Männer einander ansehen konnten.
»Habt Ihr schon einmal ein Ameisennest gesehen, Harry?«, fragte Sinclair. »Eines, das beschädigt wurde? Es ist ein Bild des Chaos, und Tausende von Ameisen huschen umher, um alles zu retten, was sie für wichtig halten.«
»Aye. Ich weiß, was Ihr meint.«
»Menschen sind wie Ameisen. Sie brauchen die Gemeinschaft, und sie brauchen Regeln für das Zusammenleben. Das gilt für alles, was wir tun, und nirgendwo trifft es mehr zu als bei der Verehrung Gottes. Gott mag ja allwissend und allmächtig sein, aber es sind Menschen, die sich um Seine weltlichen Angelegenheiten kümmern. Am Anfang war Gott, und als der erste Mensch Seiner gewahr wurde, kam sofort der erste Priester, um dem einen den Willen des anderen zu interpretieren. Seitdem leben die Priester von der Großzügigkeit des einfachen Mannes.«
Sinclair holte Luft.
»Für uns in Frankreich oder England sind Gottesmänner Würdenträger wie der Papst, seine Bischöfe und Priester. Kaum einer von uns verschwendet nur einen Gedanken daran, dass es im Osten, in Konstantinopel, eine weitere Kirche gibt. Es ist ebenfalls eine christliche Kirche, anders als die römische, doch auch hier haben Priester wie in Rom das Sagen. Römischkatholisch und orthodox – derselbe Gott und doch anders, weil die Gottesmänner an der Spitze der Kirche sich in ihrem Glauben und in ihrer Interpretation des göttlichen Willens unterscheiden. So kommt es, dass sich Christen, die doch eigentlich Verbündete sein sollten, gegenseitig umbringen, weil sie unterschiedliche Auffassungen von der Wahrheit haben – die ihnen von den Gottesmännern vermittelt werden. Gott ist gnädig, sagt man uns, aber Gottesmänner brauchen es nicht zu sein. Ihre Aufgabe ist es, die Welt zu ihrem jeweiligen Glauben zu bekehren.«
Sinclair blickte von einem Mann zum anderen.
»Und der Islam? Auch im Islam regieren Gottesmänner. Sie nennen sich Imame und Mullahs, doch sie sind nichts anderes als Priester und Bischöfe – sie streben nach Macht über die Gedanken und das Leben ihrer Mitmenschen, und sie leben vom Wohlwollen der einfachen Leute. Und auch hier hat der Machtkampf von Anbeginn zu Differenzen geführt. Kaum hatte man den Propheten Mohammed für tot erklärt, als sich seine Anhänger um die Nachfolge zu streiten begannen. Daher kommt es, dass sich der Islam heute in die Schiiten und die Sunniten aufteilt, die bei jeder Gelegenheit aufeinander losgehen. Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet, das glauben beide Seiten, doch ihre Gottesmänner haben ihnen eingeredet, dass die jeweils anderen Gottes Wünsche missachten und in Gottes Heiligem Namen zu vernichten sind. Schiitische und sunnitische Moslems, römisch-katholische und orthodoxe Christen – viermal Angst, Eifersucht und Bigotterie, vier Marionetten in der Hand der Gottesmänner.«
Sinclair brach ab und blickte erneut von einem Gesicht zum anderen.
»Möchtet Ihr gern noch mehr von dem hören, was ich glaube, oder habe ich genug gesagt, um Euch vielleicht selbst zum Denken anzuregen? Genug? Hervorragend. Sollten wir drei uns je wiedersehen, empfehle ich Euch, das Gespräch nicht wieder auf das Thema der Männer Gottes zu bringen. Wollen wir weiterreiten? Wir sind noch weit von unserem Ziel entfernt.«
AM FOLGENDEN TAG ließ sich André von Harry Douglas die Belagerungsmaschinerie zeigen. Bis heute hatte er sich ganz darauf konzentriert, seinen Vetter zu finden, und er hatte sich noch keine Zeit genommen, einen genaueren Blick auf seine unmittelbare Umgebung zu werfen. Jetzt jedoch war er tief beeindruckt.
Die Belagerung von Acre dauerte inzwischen zwei Jahre und hatte längst den Nervenkitzel und die Wucht jener ersten Tage verloren. Stattdessen hatte Routine eingesetzt, und die quälende Untätigkeit eines Stellungskrieges wurde nur hin und wieder von heftigen Zusammenstößen der Gegner unterbrochen. Die Belagerungsmaschinerie war so gigantisch, dass es André ernsthaft schwerfiel, die komplexen Strategien beider Seiten zu begreifen.
Die Stadt selbst, die nun von einem hartnäckigen Sarazenenkontingent verteidigt wurde, war einer der ältesten Häfen Palästinas. Von den Phöniziern zur Blüte gebracht, hatte es sich zu einer
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