Die Brueder des Kreuzes
Doch da stand ich nun, und vor mir Ibn al-Farouch, der angegriffen wurde. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber plötzlich kniete er am Boden, ohne Schwert, und ich bin vom Pferd gesprungen und habe mich vor ihn gestellt, wohl um ihn zu verteidigen … vielleicht wollte ich ihn ja gefangen nehmen … ich weiß, dass ich ihn für seine Güte entlohnen wollte …«
Zwischen den einzelnen Sätzen holte er keuchend Luft.
»Aber hier wollte niemand Gefangene machen. Alle wollten nur Blut sehen. Ich habe versucht, sie abzuwehren, unsere eigenen Ritter, um ihn als meinen Gefangenen zu beanspruchen, doch dann hat einer unserer Kameraden mich angegriffen, und plötzlich habe ich selbst um mein Leben gekämpft, gegen meine eigenen Leute. Sie sind zu zweit auf mich losgegangen. Einer hat mich mit der Axt getroffen. Den anderen habe ich mit dem Schwert erledigt. Und dann seid Ihr gekommen … Ihr sagt, Ibn ist tot?«
»Aye, Alec, das ist er.«
»Würdet Ihr mir sein Amulett bringen?«
Kurz darauf betrachtete er das Schmuckstück mit schmerzverzerrtem Gesicht und hielt es André hin. Dieser nahm es wortlos entgegen.
»Tut mir einen Gefallen, Vetter«, flüsterte Alec heiser. »Wenn all das hier vorüber ist, versucht Ihr, es Ibns Bruder zukommen zu lassen?«
Wieder rang er zischend nach Atem.
»Grundgütiger, tut das weh … Sein Name ist Yusuf. Yusuf al-Farouch … Er lebt in einem Dorf in der Nähe von Nazareth. Dort gibt es eine Oase, wo köstlich- köstliche Datteln wachsen.«
»Ich weiß, Ihr habt es mir einmal erzählt. Dieser Bruder ist ein Mullah, nicht wahr?«
Er betrachtete das Amulett, und Alec antwortete ihm nicht.
»Alec? Ist Yusuf …«
Doch Alecs offene Augen starrten ihn blicklos an.
»Bruder? Fehlt Euch etwas? Kann ich Euch helfen?«
Es schien nur wenige Minuten später zu sein, doch als André zu dem schwarz gekleideten Hospitalritter aufsah, wusste er, dass etliche Zeit verstrichen war. Er blickte noch einmal in Alec Sinclairs erstarrtes Gesicht, dann streckte er dem Hospitalritter die Hand entgegen.
»Ja, Ihr könnt mir helfen. Dieser Mann war mein Verwandter und mein bester Freund. Ich würde ihn gern in seinem eigenen Grab bestatten. Vielleicht dort unten am Meer, wo seine Seele über das Wasser heimblicken kann. Habt Ihr eine Schaufel, die ich benutzen kann?«
ZWEIMAL HATTE ER den Weg zurücklegen müssen, und er hatte stundenlang gegraben, doch jetzt lehnte André St. Clair auf den Griff der Schaufel gestützt oberhalb der Wasserlinie am Strand des Mittelmeers. Zu seinen Füßen befand sich ein tiefes, breites Grab, das zwei Toten Platz bot, und hinter ihm lagen die Leichen Sir Alexander Sinclairs und seines Freundes, des Emirs Ibn al-Farouch.
Er wandte sich den Toten zu, packte Alec Sinclair unter den Armen und zog ihn zur einen Seite des Grabes. Dann zog er al-Farouch auf die andere Seite. Als sie beide dort lagen, erhob er sich und sagte ihnen beiden, wie gern er sie würdevoller bestattet hätte, dass er ihnen jedoch alle in seiner Macht stehenden Ehren hatte angedeihen lassen. Schließlich sagte er ihnen im Namen ihres gemeinsamen Gottes, den sie lediglich unter zwei verschiedenen Namen verehrten, Lebewohl und rollte zuerst Sinclair, danach al-Farouch in das offene Grab. Es dauerte keine Stunde, bis er das Grab wieder zugeschaufelt hatte und es geglättet und mit Kieseln bestreut hatte, um so gut wie möglich zu verbergen, dass sich hier ein frisches Grab befand.
Schließlich setzte er sich kurz vor Sonnenuntergang im Schneidersitz an den Fuß des Grabes und streckte die Hand nach dem gelben Stoffstück aus, das neben ihm im Sand gelegen hatte. Es war das Banner mit den fünf Halbmonden, das ihm auf dem Schlachtfeld ins Auge gefallen war und auf dem nun drei Gegenstände lagen.
Der erste war das Jadeamulett, das er dem Mullah Yusuf al-Farouch übersenden wollte. Der zweite war der prachtvolle Dolch, den Alec Sinclair einmal von Ibn al-Farouch bekommen hatte, und der dritte war der Dolch des Emirs selbst.
Nun nahm er in jede Hand einen der Dolche und beugte sich vor, um sich mit den beiden Toten zu unterhalten, als könnten sie ihn hören.
»Jemand hat mir einmal eine Passage aus dem Testament vorgelesen, in der es hieß: ›Keine Liebe ist größer als die eines Mannes, der sein Leben für seine Freunde niederlegt.‹ Dieser Gedanke hat mir immer sehr gefallen, doch jetzt frage ich mich, ob diese Liebe wohl noch größer ist, wenn der Freund ein Feind gewesen ist.
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