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Die Brueder des Kreuzes

Die Brueder des Kreuzes

Titel: Die Brueder des Kreuzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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dich anwidert, lass es dir um Gottes willen nicht anmerken. Richard duldet es nicht, wenn man sein Tun missbilligt – fast genauso wenig, wie wenn man ihm widerspricht. Das war schon so, als er noch ein Junge war, und ich glaube nicht, dass er dieser Eigenschaft je entwachsen ist.«
    Henry sah die Neugier im Gesicht seines Sohnes, doch er winkte mit dem Finger ab, und das Thema war für ihn beendet.
    »Nun sag mir, was es mit der Begeisterung für diese neue Armbrust auf sich hat. Was ist daran so anders?«
    Andrés Augen begannen zu leuchten.
    »Kraft«, sagte er. »Geballte, unglaubliche Kraft und Zielgenauigkeit. Weißt du, was eine Ballista ist?«
    Der Kopf seines Vaters fuhr auf, als hätte ihn etwas gestochen.
    »Ob ich weiß? Grundgütiger, Junge, meinst du diese Frage ernst? Ich war doch schon Fechtmeister, bevor du überhaupt auf die Welt gekommen bist! Sie war eine Artilleriewaffe nach dem Muster des griechischen Katapults, der ersten Armbrust. Ballistae waren hölzerne Wurfgeschütze mit gespannten Seilen, die einen Stein oder manchmal auch einen schweren Speer über eine halbe Meile weit schleudern konnten, und zwar zielsicher.«
    Das Gesicht seines Sohnes leuchtete immer noch, und er nickte heftig.
    »Aye, und wie du sagst, waren sie aus Holz. Nun, die neue Waffe hat einen Bogen aus geschmeidigem Stahl. Sie ist viel stabiler und zugkräftiger als jeder Holzbogen, und im Gegensatz zur Ballista ist sie transportabel. Sie ist zwar groß und schwer, doch sie kann von einem Mann getragen und bedient werden, und ein geschickter Schütze, der in ihrer Bedienung geübt ist, kann innerhalb einer Minute zwei Bolzen damit abschießen und einen Mann, der eine Rüstung trägt, auf fünfhundert Schritte Entfernung töten. Ich habe eine oben. Möchtest du sie sehen?«
    »Gern.«
    »Nun, dann werde ich dir morgen früh vielleicht eine kleine Vorführung gewähren, wenn du es denn schaffst, deine alten Knochen aus dem Bett zu hieven. Ich glaube, du wirst staunen.«
    Henry lächelte.
    »Ich werde staunen, wenn du deine erschöpften Knochen aus dem Schlaf reißen kannst, bevor ich mich angekleidet und gefrühstückt habe. Wir werden ja sehen, wer sich morgen früh älter vorkommt.«
    André lachte.
    »Aye, das werden wir. Schlaf gut, Vater.«
    Er verließ seinen Vater lächelnd und freute sich über dieses Echo ihres unbeschwerten Umgangs vergangener Tage. Gleichzeitig jedoch spürte er schmerzlich den Abstand, der sie jetzt voneinander trennte, ein Abstand, der durch sein geheimes Wissen bedingt wurde.
    Sir Henry hielt die Tempelritter für die Auserwählten. Dies stimmte zwar auf gewisse, sehr beschränkte Weise, doch André wusste, dass sich sein Vater nie träumen lassen würde, dass sein Sohn bereits jetzt einer der wahren Auserwählten war – ein geweihter Bruder in einem uralten Geheimorden, von dessen Existenz Sir Henry als Außenstehender nicht das Geringste ahnen durfte.
    Dies zu akzeptieren war André nach seiner Weihe sehr schwer gefallen, und es war ihm nur durch die Erkenntnis leichter geworden, dass es ihm nicht anders ging als jedem anderen Mitglied der Bruderschaft, in die er mit achtzehn aufgenommen worden war, schon vor seinem Ritterschlag durch Herzog Richard.
    Die Bruderschaft arbeitete unter dem Siegel der Verschwiegenheit, und sie verfolgte ein schlicht formuliertes Ziel: das unschätzbar wertvolle Geheimnis zu hüten, das der Grund für ihre Existenz war. Seit seiner Bruderweihe war André von diesem Geheimnis fasziniert, und es verstrich kein Tag, an dem er sich nicht in Gedanken damit beschäftigte.
    Das Geheimnis, das die Brüder seit dem Ende des ersten Jahrhunderts der Christenheit vor über einem Jahrtausend so pflichtbewusst hüteten, war so alt und ihrer Alltagswelt so fremd, dass es schwer zu glauben war, heute vielleicht sogar mehr als je zuvor. André selbst hatte es anfangs nicht glauben können, und er war überzeugt, dass es seinen Brüdern im Lauf der Ordensgeschichte nicht anders ergangen war. Der Gegenstand dieses Geheimnisses war unvorstellbar, und das bloße Wissen um seine Existenz löste Schwindel und Schrecken aus, barg es doch die Möglichkeit, dass der Eingeweihte seine unsterbliche Seele und jede Hoffnung auf Erlösung diesseits oder jenseits des Todes unwiderruflich verlor. Daher stellten es die Brüder leidenschaftlich in Frage und erörterten seine Glaubwürdigkeit mit Logik, Klugheit und Ehrfurcht, sobald der erste Schreck ihrer Weihe verflogen war. Jeder einzelne

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