Die Brueder des Kreuzes
sich oberhalb und unterhalb der Einschlagstelle ein senkrechter Riss gebildet hatte. Nur das gefiederte Ende des Bolzens war noch zu sehen. Es ragte keine sechs Zentimeter aus dem Holz. Er streckte die Hand aus, um ihn mit den Fingerspitzen zu berühren, dann wandte er sich zu seinem Sohn um.
»Dieser Pfosten besteht aus massiver Eiche.«
André nickte lächelnd.
»Ich weiß, Vater. Massiv und lange abgelagert … und so mitgenommen, dass er wohl nicht mehr viele Angriffe aushalten wird. Wir haben ihn vor zwölf Jahren gemeinsam ausgesucht und hier aufgestellt. Jetzt frag mich noch einmal nach den Schüssen auf eine Distanz von fünfhundert Schritten.«
»Das brauche ich gar nicht«, erwiderte Sir Henry und schüttelte langsam den Kopf. »Wie viele von diesen Waffen befinden sich in Richards Besitz?«
»Nicht annähernd genug für das, was er vorhat. Das ist der Haken daran. Er hat nur wenige von dieser Sorte mit dem Stahlbogen; mehr gibt es davon nicht. Vergiss nicht, dass die Armbrust in den letzten fünfzig Jahren so gut wie nicht mehr benutzt worden ist, daher gibt es kaum noch Waffenschmiede, die mit der Kunst ihrer Herstellung vertraut sind. Der Mann, der dieses Exemplar hier hergestellt hat, ist ein Schmied von unglaublicher Kunstfertigkeit. Er schmiedet exzellente Waffen, doch er scheint im Moment der Einzige zu sein, der das Geheimnis dieses federnden Stahlbogens kennt. Er ist dabei, Lehrlinge darin auszubilden, doch das braucht Zeit.«
Er hielt inne und überlegte.
»Einfache Armbrüste aus Holz, Horn und Sehnen findet man leichter, doch auch sie sind heutzutage so rar und kostbar, dass sie ihr Gewicht in Silber wert sind, vielleicht sogar in Gold. Und Richards Bogenschützen haben natürlich ihre Eibenholzbögen, und ihre Bogenmacher haben die Arbeit nie eingestellt.«
Vor fünfzig Jahren hatte Papst Innozenz II. kraft seines Amtes sämtliche Schusswaffen – Bogen genauso wie Armbrüste – verbannt, und obwohl es ein Kirchenmann war, der das Verbot ausgesprochen hatte, hatte es sich durchgesetzt und wurde erstaunlicherweise in der ganzen Christenwelt geachtet. Dies hatte unglücklicherweise dazu geführt, dass sich die Bogen- und Pfeilmacher überall – außer in England und Aquitanien – anderen Handwerken zugewandt hatten, weil sie ihre Waren nicht mehr verkaufen konnten. Schusswaffen waren in Vergessenheit geraten, und die wenigen Exemplare, die überdauert hatten, waren alte, abgenutzte Gerätschaften, mit denen man kaum noch einen Hasen oder ein Reh erlegen konnte.
Die offizielle Erklärung für den päpstlichen Bann hatte gelautet, dass Hochwürden diese Waffen unchristlich fand, und so hatte er ihre Anwendung unter Christen unter Strafe der Exkommunikation und ewigen Verdammnis gestellt. Doch die Wahrheit, die sich dahinter verbarg – und der praktische Grund für den Bann und seine weitgehende Befolgung – war, dass ihre zunehmende Durchschlagskraft es jedem hergelaufenen Söldner ermöglichte, ausgebildete Ritter in voller Rüstung aus sicherer Entfernung zu töten und sich unerkannt davonzumachen.
Unter den Regenten der Christenwelt hatte damals allein der junge Heinrich Plantagenet, der damalige Graf von Anjou und spätere König Heinrich II. von England, den Scharfsinn und das trotzige Selbstbewusstsein besessen, das päpstliche Dekret zu ignorieren. In seinen Territorien wurden die Waffen weiter benutzt, vorgeblich zur Jagd und zu Übungszwecken. Als Soldat und Feldherr sah er es nicht ein, auf den Vorteil zu verzichten, den ihm die wirkungsvollsten Waffen verschafften, die je zum Töten aus großer Entfernung entwickelt worden waren. Und sein Sohn Richard, der das Verhalten seines Vaters ansonsten nur selten guthieß oder nachahmte, war in diesem Fall begeistert in Heinrichs Fußstapfen getreten.
»Aber wenn er nur so wenige Armbrüste hat«, fragte Sir Henry seinen Sohn, »warum hat er dich dann damit beauftragt, dein Wissen und Können an andere weiterzugeben? Das scheint mir Zeitverschwendung zu sein.«
»Ganz und gar nicht. Es werden ständig mehr davon hergestellt, zwar nicht mit rasender Geschwindigkeit, doch auch so werden wir Schützen brauchen, die sie bedienen können. Doch es ist die Idee hinter dieser Waffe, die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe Ehrfurcht und Schrecken zu verbreiten, die Richard so fasziniert. Seine Männer werden die einzigen Krieger im gesamten Frankenheer sein, die diese Waffen besitzen, und dadurch ist er gegenüber all seinen Verbündeten im
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