Die Brueder des Kreuzes
eingeholt haben, als der Alte krank wurde, wenn nicht schon vorher. Hat er denn nichts getan, um diese Diebstähle zu verhindern?«
»Ich bezweifle, dass er etwas davon gemerkt hat, Va ter. Richard hatte anderes im Sinn, und wie ich höre, hat e r dabei große Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt.«
»Andere Dinge … zum Beispiel?«
»Es überrascht mich, dass du überhaupt danach fragen musst. Vor allem die Provinz Vexin. Im Angesicht des Todes hat Heinrich getan, was er mitten im Leben nie über sich gebracht hätte. Er hat Richard offiziell als Erben Englands benannt. Das muss vor drei Tagen gewesen sein, am dritten Juli. Gleichzeitig soll er verfügt haben, dass man seine Gemahlin Eleanor aus ihrem Gefängnis im Turm zu Winchester in England freilässt, wo er sie die letzten sechzehn Jahre gefangen gehalten hat. Und er hat offiziell seine Ansprüche auf die Provinz Vexin aufgegeben und zugestimmt, Prinzessin Alaïs an Philip Augustus und an Richard zu übergeben, sodass Richard sie heiraten kann und die Angelegenheit ihrer Mitgift – und damit jede Unstimmigkeit zwischen England und Frankreich – ein für alle Mal beigelegt ist.«
Eine Weile saß Sir Henry nur schweigend da. Dann murmelte er: »Der alte Mann muss wirklich todkrank sein, dass er so vieles aufgegeben hat … und Richard muss ihn furchtbar bedrängt haben.«
»Aye, Vater, und er hat ihm noch mehr abgerungen. Heinrich war gezwungen, ihm Schlösser und Ländereien abzutreten, die sein Leben lang in seinem Besitz gewesen sind, und Territorien, um die es nie Streit gegeben hat. Es heißt, am Ende hätte ihm Richard nichts gelassen, nicht einmal seine Würde. Ich habe sogar gehört, der König hätte hinterher laut darum gebetet, lange genug leben zu dürfen, um sich an seinem undankbaren Sohn rächen zu können, doch er sei gleich darauf gestorben, und der Gott, den er zu oft verhöhnt hat, hätte ihm selbst diese Genugtuung verwehrt. Ich kann allerdings nicht schwören, dass dies den Tatsachen entspricht – sein Tod, meine ich. Andere am Tisch haben dem widersprochen, und du darfst nicht vergessen, dass ich nur berichte, was auch mir berichtet worden ist.«
Andrés Stimme nahm einen bitteren Tonfall an.
»Und doch habe ich ebenfalls gehört, dass Richard in dem Moment, in dem er alles hatte, was er wollte, angefangen hat zu weinen und für die Seele seines Vaters gebetet hat.«
»Wer hat dir denn so etwas erzählt?«
Sir Henry verzog angewidert das Gesicht.
»Wer wagt es, so etwas unter die Leute zu bringen? Ganz gleich, wer es gewesen ist, ein Freund Richard Plantagenets war er jedenfalls nicht.«
André machte keine Anstalten zu antworten, und sein Vater fuhr fort.
»Du hast doch gesagt, du bist in der Tempelkomtur in Tours gewesen, nicht wahr? Und dort wurden solche Dinge offen besprochen, unter Fremden? Das finde ich schwer zu glauben. Dass die Ritter in der Zurückgezogenheit ihrer Quartiere solche Dinge untereinander besprechen, ja, das könnte ich glauben. Aber du bist ja kein Templer, also musst du diese Dinge in einer öffentlichen Runde gehört haben.«
»Nein, Vater, nicht ganz.«
André zuckte kaum merklich mit den Schultern, um zu zeigen, dass er nicht versuchte, sich wichtig zu tun.
»Mir war das Privileg der Gesellschaft zweier Tempelritter vergönnt, die ich in den letzten Monaten sehr gut kennengelernt habe. Sie arbeiten eng mit de Sablé zusammen und versehen für den Orden Kurierdienste zwischen ihm, Herzog Richard und dem König von Frankreich. Weil ich ihr Gast war, konnte ich dies alles mit anhören.«
»Aye, aber dennoch, André, falls sich dies nicht in jüngster Zeit sehr geändert hat, so müssen persönliche Freundschaften in den Hintergrund treten, wenn es um Dinge geht, deren Geheimhaltung geschworen wurde. Du gehörst dem Orden nicht an. Du gehörst nicht zu ihnen, und deshalb müssen sie dich entsprechend behandeln – und dir entsprechend misstrauen. Doch die ganze Sache riecht faul, und es ist unloyal, von solchen Dingen auch nur zu sprechen.«
André runzelte die Stirn.
»Unloyal? Wie kann das sein, Vater? Wir sprechen hier von den Rittern des Tempels. Ihre Loyalität gilt allein dem Papst. Kein weltlicher Regent, sei er Kaiser, König oder Herzog, hat irgendeinen Anspruch auf ihre Loyalität.«
»Das ist mir bewusst, André. Genau wie mir bewusst ist, dass du noch keiner von ihnen bist … es sei denn, du hast mir etwas verschwiegen? Willst du mir sagen, dass du bereits in den Rang der
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