Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
Holly. Deine Mutter ist tot. Weißt du das nicht mehr?«
»Das stimmt nicht.«
Die Blätter der Ulme zittern. Einige fangen Feuer und lösen sich, wobei sie in der kalten Luft umherwirbeln. Kano beißt sich auf die Unterlippe.
»Entschuldigung, Holly. Ich wollte dir nicht wehtun. Kommst du jetzt mit?«
»Holly? Wirst du mir endlich sagen, wer da ist?«
Holly wendet sich der Treppe zu, wo die füllige Frau im gelben Kleid die Augen zusammenkneift, um zu sehen, wer in den Garten gekommen ist.
»Das sind Jungs, Mama. Sie sehen ganz komisch aus!«
»Jungs? Das ist nicht gut, Holly. Jungs sind schmut zig und böse.«
»Die hier nicht, Mama. Die sind nett, das spüre ich.«
»Sag ihnen, dass sie näher kommen sollen. Ich will sie sehen.«
»Die trauen sich nicht. Sie sind schüchtern. He, seid ihr schüchtern?«
Die vier Jungen nicken. Gordon lächelt. Sein schönes trauriges Lächeln lässt das Herz des Mädchens dahinschmelzen. Die Stimme der fülligen Frau ertönt erneut in der Stille. Sie scheint beunruhigt zu sein.
»Frag sie, wie sie heißen. Ich will ihre Namen wissen.«
»Kano, Cyal und Elikan. Und Gordon. Ist doch so richtig?«
Gordon nickt, wobei er errötet.
»Können sie mit reinkommen und Kuchen essen? Sagt mal, möchtet ihr das gern?«
Die füllige Frau kreischt. Sie wirkt erschreckt.
»Kommt überhaupt nicht infrage, Holly! Schluss jetzt! Sag den kleinen dreckigen Tieren da, sie sollen verschwinden. Und du kommst ins Haus, um mit deinen Freundinnen Kuchen zu essen. Hörst du mich, mein Schatz? Mach der Mama die Freude, sonst wird Mama so böse, dass sie …«
»Dass sie was?«
Gerade als die füllige Frau antworten will, öffnet sich das Fenster im Obergeschoss. Das Wesen Jessica beugt sich vor. Aus ihrer Kehle kommen Laute wie das Knurren einer Katze.
»Holly? Komm mit uns spielen. Holly. Wir frisieren dich und spielen dann mit den Hunden der Nachbarschaft. Wir kratzen ihnen die Augen aus.«
Holly wendet sich an Kano. »Sie ist doch auch tot, oder?«
Der kleine Zauberer lächelt ihr zu.
»Tut mir leid, Holly.«
»Das mit meinen Freundinnen ist nicht weiter schlimm, aber meine Mama ist nicht tot. Mamas sterben nie. Das hat sie mir selbst gesagt.«
»Dann sag doch, sie soll zu dir rauskommen.«
»Wozu?«
»Damit du siehst, ob sie wirklich lebt.«
Erneut erhebt sich die Stimme der fülligen Frau. Holly zittert. In der Stimme liegt etwas Klebriges. Es kommt ihr so vor, als kaue sie Brei, während sie mit ihr spricht.
»Holly, mein Schatz, ich will, dass du mir gehorchst und sofort ins Haus kommst.«
Holly wendet sich der Treppe zu. Die Gestalt neben der
fülligen Frau kratzt sich im Gesicht und reißt dabei die Krusten herunter, sodass frisches Blut in dünnen Rinnsalen über das Gesicht läuft.
»Hör mal, Mama.«
»Ja?«
»Warum nennst du mich ›mein Schatz‹?«
»Wie soll ich dich denn sonst nennen?«
»Na ja, Prinzessin, wie immer.«
Das Lächeln der fülligen Frau verzerrt sich zu einer Grimasse.
»Wenn dir das lieber ist, nenne ich dich ›Prinzessin‹, meine Prinzessin. Oder sogar ›Königin‹, wenn du möchtest.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ›Königin‹ nuttig klingt.«
»Ach so? Na schön. Wie du willst, Prinzessin.«
Holly schaukelt. Abermals zieht sie die Stirn kraus.
»Mama?«
»Ja, Prinzesschen?«
»Hast du gehört, was ich gesagt hab?«
»Nein. Was hast du denn gesagt?«
»Ich hab ›nuttig‹ gesagt.«
»Das ist aber gar nicht gut!«
»Schon, aber ich hab es gesagt.«
»Nun, Prinzesschen, das ist nicht weiter schlimm. Heute ist dein Geburtstag, da darfst du alles sagen, sogar böse Wörter.«
»Trotzdem. Wenn ich sonst so ein Wort sage, schreist du immer meine beiden Vornamen und meinen Nachnamen und zerrst mich an den Haaren in die Küche, um mir den Mund mit Seife von Wal-Mart auszuwaschen.«
»Bist du sicher?«
»Aber ja, geschworen. Die Seife ist so widerlich, dass man sie gar nicht vergessen kann.«
»Wenn du willst, kann ich dich anschreien und dich in die Küche zerren, um dir den Mund mit Seife auszuwaschen. Soll ich das wirklich vor deinen Freundinnen tun?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil das immer so ist, und deshalb will ich, dass es auch heute so ist. In Ordnung?«
»Beruhige dich, mein Schatz.«
»Nicht ›mein Schatz‹: ›Prinzesschen‹. Also, zerrst du mich nun an den Haaren oder nicht?«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich mir die Hüfte verrenkt hab, als ich dich im Einkaufszentrum suchen
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