Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
doch sowieso alle die Demokraten, hörst du, Maria? Alle außer dir und mir.«
Sie hatte ihm mit einem Kuss auf die Wange für das Kompliment gedankt, und er war brummend abgezogen. Das war jetzt sechs Monate her. Eigentlich hatte sie nie wieder nach Hattiesburg zurückkehren wollen. Die Kette klirrt. Mit einem Knacken schließt sich das schwere Zahlenschloss wieder unter ihren Fingern.
3
Vor Nr. 12, einem alten Holzhaus zwischen zwei Windungen des Weges, hält Maria an. Anfangs hatte sie nicht begriffen, wieso ihr Haus die Nummer 12 und das Cayleys die Nummer 56 hatte. Es gab weder eine Nummer 1 noch eine Seite mit geraden und ungeraden Hausnummern, lediglich 12. 2 und 56. Es war so, als hätte dort früher ein ganzes Dorf mit all seinen Häusern, seiner Kirche und seiner Schule gestanden. Maria hatte versucht, Näheres zu erfahren. Das war unmittelbar nach ihrem Unfall gewesen, als sie sich erneut dort niedergelassen hatte. Da sie seit dem Tod der beiden Parks nicht dort gewesen war, hatte sie einen förmlichen Krieg gegen Ratten, Spinnen und Bäume führen müssen, um sich wieder das Recht zu erkämpfen, dort zu leben. Damals war das Haus nahezu vollständig hinter jungen Kiefern und dichtem Gestrüpp verschwunden gewesen, sodass sie sich zuerst einen Weg in die Mitte des einen Hektar großen Geländes hatte bahnen müssen, bevor sie ein Stück Land so weit freilegen konnte, dass sie Platz für ihr Zelt, einen Campingkocher und einen gasbetriebenen Kühlschrank hatte. Am nächsten Morgen hatte sie mit den abgetrennten Ästen und Zweigen ein Feuer entzündet, das fast eine ganze Woche gebrannt hatte.
Die ersten Tage waren eine Qual gewesen, doch dann hatten sich ihre Muskeln nach und nach an die schwere Arbeit gewöhnt, und der um das Haus herum freigelegte Kreis wurde rasch größer. In der sechsten Nacht hatten die sonderbaren Träume eingesetzt. Sie war gerade im Freien eingeschlafen, als sie inmitten von Insektengesumm und Harzgeruch erwachte. Es war ein heißer Sommertag. Die Farben waren eigentümlich leuchtend und die Luft so ungewöhnlich rein, dass Maria überrascht feststellte, wie sie bei ihren
tiefen Atemzügen jedes noch so kleine Duftpartikelchen wahrnahm. Im Traum war sie barfuß auf einem sandigen Weg gegangen, der sich zwischen den Kiefern dahinzog. Sie trug ein langes Baumwollkleid, ein Mieder und eine wollene Haube, die ihr volles brünettes Haar fast vollständig umschloss. Sie hieß Hezel und dachte auf Holländisch. Sie hatte sich im Körper jener jungen Frau aus einem anderen Jahrhundert sogleich wohlgefühlt, sogar glücklich, und zwar so sehr, dass sie im Traum gelächelt hatte. Die junge Frau war verliebt und kam von einer Lichtung im Wald zurück, auf der sie sich mit ihrem Geliebten getroffen hatte. Es war eine Umarmung voll Zärtlichkeit und Leidenschaft gewesen, an die Hezel jetzt zurückdachte, während sie der Siedlung Old Haven entgegenstrebte, deren Häuser sich in der Ferne abzeichneten.
Jetzt hatte Hezel den Wald hinter sich und ging durch die einzige Straße des kleinen Orts. Alle Bauernhäuser sahen gleich aus, einstöckige Blockhütten, die an Alpenchalets erinnerten. In der Mitte des Dorfs erhob sich eine alte Linde und breitete ihre Äste über einem Brunnen aus, an dem Kinder mit nacktem Oberkörper herumtollten und einander bespritzten. Hezel hatte so getan, als schimpfe sie mit ihnen, und sie waren sogleich vom Brunnenrand heruntergekommen, um sich bei ihrem Vorübergehen beinahe ängstlich zu verneigen. In diesem Augenblick hatte Maria gemerkt, dass kein Wort von den Lippen der jungen Frau gekommen war, als sie sich ihnen zuwandte, und auch kein Laut aus dem Mund der Kinder, während sie artig sagten: »Verzeihung, Mutter.«
Hezel hatte einem strohblonden Jungen mit tiefblauen Augen die Hand auf die Wange gelegt und gesagt: »Das ist nicht das erste Mal, dass ich dir sage, du sollst aufhören, mit dem Wasser herumzuspielen, du Schlingel.«
»Aber Mutter, ich versichere Euch...«
»Schon gut, Kano. Geht jetzt alle nach Hause. Eure Eltern haben euch gerufen.«
Während sich Maria unruhig im Schlaf wälzte, hatte sie in Hezels Kopf Stimmen gehört. Dutzende leiser Stimmen, die einander von einem Ende des Dorfs zum anderen antworteten, ohne dass jemand hätte sprechen müssen. Ich kann hören, was sie denken, hatte sich Maria gesagt, während sie den Menschen in weißen Gewändern zuwinkte, die sich alle bei ihrem Vorübergehen verneigten. Dann war sie aufgewacht
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