Die Buchmagier: Roman (German Edition)
hätte. Lena packte mich am Arm und versuchte mir ins Freie zu helfen, aber dadurch geriet sie nur in die dicksten Chlorschwaden. Ich zeigte auf Debs Buch.
Lena raffte es auf und holte aus, um zu werfen.
»Nein!« Das Wort kratzte in meinem Hals, aber Lena senkte den Arm. Ich schnappte mir das Buch und kniff die Augen zusammen, während aus dem Papier weiter Gas aufstieg. Ich versuchte, die Luft anzuhalten, aber Lunge und Hals schmerzten zu sehr, und die Muskeln wollten nicht gehorchen.
Ich fuhr mir über die Augen und warf einen Blick auf den Umschlag. Es war eine kommentierte Geschichte des Ersten Weltkriegs. Ich blätterte die Seiten durch, bis ich Debs Zauber fand, der einer gezackten Träne ähnelte, die in der Mitte herablief und mit einem grünen Reifrand versehen war. Die Hand auf den Riss zu pressen tat nichts dazu, das Fließen zu stoppen.
Meine Nase tropfte, und alles verschwamm mir vor Augen. Über das Pochen in meinem Kopf konnte ich kaum etwas hören. Indem ich mir den Saum meines Bademantels über Mund und Nase hielt, beugte ich mich näher heran und versuchte, den Text auszumachen. Dieses Kapitel beschrieb den Gebrauch von Chlorgas gegen die Briten im Jahr 1915. Die Deutschen hatten mehr als einhundert Tonnen des Gases eingesetzt – genug, um einen großen Teil von Copper River auszulöschen!
»Raus hier!« Die Worte lösten einen weiteren Hustenanfall aus, als versuchte mein Körper, mir die Lunge aus der Brust zu stoßen.
Lena ergriff mich an den Schultern, um mich vor dem Fallen zu bewahren. Ich schloss die Augen und las die Worte im Geist noch einmal. Ich konnte Debs Zauber sehen, aber ich konnte ihn nicht manipulieren. Wenn ich diese Sache beenden wollte, musste ich meine eigene Magie einsetzen.
Lena stützte mich, als ich mit letzter Kraft so lange an der Seite zerrte, bis ich mit den Fingern einen Riss in jenem Schlachtfeld des April 1915 verursacht hatte. Ich erweiterte den Riss, bis er das Loch verschlang, das Deb erschaffen hatte. Das Buch gehörte jetzt mir, ebenso wie seine Magie. Magie, die weiter ausströmte …
In der Bücherei hatte ich meine Waffen zurück in ihre Texte aufgelöst. Dasselbe machte ich hier, indem ich die Gesamtmenge an Chlor als ein einziges, durch Zauberei erschaffenes Artefakt behandelte. Vor meinen Augen blitzten Funken und Sterne, während ich darum rang, das Gas zurück in die Seiten zu ziehen.
Langsam nahm die Dichte der Chlorwolke ab. Ich brach vor Lena zusammen und gab mir alle Mühe, nicht zu kotzen. Dabei hielt ich mir das Buch wie eine Gasmaske vors Gesicht. Mein Husten verschlimmerte sich, als das Chlor herausgezogen wurde, das sich in meiner Lunge gesammelt hatte.
Ich konnte nicht reden, also drehte ich mich um und streckte das Buch Lena entgegen. Sie nickte, legte ihre Hand über meine und presste die Seiten auf Mund und Nase. Als das Pochen in meinem Kopf langsam geringer wurde, ließ ein neues Geräusch mich zusammenzucken: ein hoher, durchdringender Piepston.
»Rauchmelder!«, keuchte ich. Ich torkelte aufs Schlafzimmer zu; Lena folgte mir. Das meiste Gas war in meiner Nähe geblieben, aber ein Teil hatte sich im Haus verbreitet. Ich fand Klecks zu einem Ball zusammengerollt auf dem Boden seines Aquariums vor. Stücke schwarzen, schwelenden Netzes klebten ihm am Körper, und die Luft roch nach Rauch, aber er brannte zumindest nicht mehr … Er bewegte sich gar nicht mehr.
Ich riss den Deckel seiner Behausung herunter, hob ihn behutsam auf und legte ihn aufs Bett, dann stülpte ich das aufgeklappte Buch, das Lena nun nicht mehr brauchte, wie ein Zelt über ihn.
Komm schon! , flehte ich. Du hast schon Schlimmeres durchgemacht! Arachnoide Lungen waren ganz anders aufgebaut als unsere, doch selbst wenn ich alles gewusst hätte, was es über Spinnenanatomie zu wissen gab, war Klecks doch keine gewöhnliche Spinne. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Gas für eine Feuerspinne tödlich sein mochte.
Ein Rauchfaden stieg von unterhalb des Buches auf, und ich erschlaffte vor Erleichterung. Als ich das Buch wegzog, krabbelte Klecks langsam auf mich zu. Ich hielt ihn in einer Hand in die Luft. Gemeinsam begaben wir drei uns wieder in die Küche, wo ich Klecks auf der Arbeitsplatte absetzte.
Von Deb war nichts zu sehen. Ich legte das Buch ab und schenkte Lena einen Becher Wasser ein, dann nahm ich mir selbst einen. Die kühle Flüssigkeit brannte im Hals und beruhigte ihn gleichermaßen. Ich kam mir vor, als hätte ich einen Sandstrahler
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