Die Bucht der schwarzen Perlen
oder lagen im Schatten der Palmen im Sand.
Am meisten wunderte Ron sich, daß die Fischer noch nicht auf See waren und Tama'Olus Brüder nicht mit ihren Speeren in der Lagune auf große Fische lauerten. Wären die Häuser nicht gewesen, hätte man Tonu'Ata für eine unbewohnte Insel halten können.
Irgend etwas stimmt da nicht, durchfuhr es Ron.
Er blickte hinüber zu seiner Hütte, nahm das Fernglas an die Augen und suchte das Ufer ab. Auf dem gerodeten Teil hinter seiner Hütte sah er, daß Tama'Olu die kleinen Felder mit Stecklingen bepflanzt hatte. Auch einen Hühnerstall hatte sie gebaut, ein kleines Quadrat, abgesteckt mit Pfählen aus Palmenholz und umgürtet mit Maschendraht. Deutlich sah er, daß ein paar Hühner herumliefen und Körner pickten.
Ron ließ das Fernglas sinken. Das Gefühl einer drohenden Gefahr durchrann ihn plötzlich.
Wo hatte Tama'Olu den Maschendraht her? Wer hatte die Hühner auf die Insel gebracht? Auf einer Leine trocknete Wäsche. Ein Bettuch, ein Kissenbezug, ein großer Bezug, eine weiße Tischdecke … Ron ließ das Fernglas sinken und umklammerte das Ruder so fest, daß seine Knöchel weiß hervortraten.
Noch dreißig Zentimeter unterm Kiel! Jetzt waren es wieder vierzig … fünfzig … Hatte er die flachste Stelle hinter sich, ohne daß die spitzen Korallen sein Schiff aufgeschlitzt hatten?
Bettwäsche und ein Tischtuch auf Tonu'Ata … es war nicht zu fassen! Maschendraht und Hühner. Wer war hier gewesen während seiner Abwesenheit? Gilbert Descartes, der Händler, dieser Gauner? Oder jemand anderes? War Tonu'Ata jetzt auch für die übrige Welt entdeckt? Wurde das Paradies bereits vermessen, in Karten eingetragen und verdiente damit die Bezeichnung Paradies nicht mehr? Eine weiße Tischdecke! Wer hatte Tama'Olu eingeredet, daß sie so etwas brauchte?
Ron griff nach dem Hebel, der das Nebelhorn auslöste, und drückte ihn hinunter. Dreimal ließ er den durchdringenden Sirenenton ertönen. Überall mußte man ihn hören: in den Häusern, auf den Feldern, in den Bergen. Eigentlich hätten sie jetzt zusammenlaufen müssen – die neugierigen Frauen, die Kinder. Normalerweise versammelte sich bei etwas Ungewöhnlichem das ganze Dorf am Strand. Aber nichts rührte sich.
Das Echolot warnte ihn. Ein Meter Wasser unter dem Kiel, jetzt nur noch fünfzig Zentimeter. Er war so nahe am Strand, daß er die in der Sonne glitzernden Augen der Hunde erkennen konnte. Aber kein Mensch ließ sich blicken. Alles wirkte beängstigend verlassen.
Ron drosselte den Motor, ließ die Yacht ganz langsam wieder rückwärtsgleiten und stellte die Maschinen ab, sobald er einen Meter Wasser unter dem Kiel hatte. Nun warf er den Anker, der sich dumpf in den Korallenboden bohrte, ein Laut, der ihm in den Ohren weh tat.
Eine unheimliche Angst ergriff ihn. Er nahm sich gar nicht erst die Zeit, das Beiboot klarzumachen, sondern stieg über Bord und ließ sich ins Wasser hinab. Es reichte ihm bis zur Brust. Die neue Hose, das neue Hemd, die schönen Schuhe waren verdorben.
Der große Auftritt, wie ihn Ron geplant hatte, fiel buchstäblich ins Wasser, und statt des eleganten Mannes, zu dem die Yacht gepaßt hätte, watete Ron ans Ufer, bis zur Brust durchnäßt und mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck.
Die Hunde, die ihn am Strand empfingen, bellten nicht. Es schien, als würden sie ihn wiedererkennen. Sie beschnüffelten ihn, wedelten mit ihren Peitschenschwänzen und rieben ihr fahlbraunes Fell an seinen nassen Hosenbeinen.
Und wieder war es wie vor Monaten, als Fatahefi Tápana dem Dorf verkündet hatte, daß seine Tochter Tama'Olu bei dem weißen Mann einziehen würde, weil sie ihn liebte: Plötzlich erklang der eintönige, rhythmische Gesang, begleitet vom hohlen Gedröhn zweier Baumtrommeln. Nur kam die Musik nicht von der Lichtung im Wald, wo die Götterbilder standen und der Medizinmann um die Götzen tanzte, sondern aus dem Dorf, gedämpfter und so, als finde das Fest in einem der Häuser statt.
Ron hob die Schultern und schloß für einen Moment die Augen. Er hatte eine entsetzliche Vision: Im großen Haus von Tápana saß das ganze Dorf auf dem Boden und sang, und in der Mitte stand Tama'Olu in ihrem roten Wickelkleid, über und über mit Blüten geschmückt, hielt die Hand eines Mannes umfaßt und lächelte und war offenbar sehr glücklich. Um sie herum lagen die Geschenke – Körbe voll Obst, eine kleine Ziege mit zusammengebundenen Beinen, ein Ferkelchen in einem Käfig aus
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