Die Bucht der schwarzen Perlen
Liebling, es geht alles gut. Der Doktor ist ein fabelhafter Arzt. Er wird es schaffen.«
»Versprechen Sie nicht zuviel, Ron«, stieß Dr. Rudeck dann hervor. Er stand mit gebeugtem Rücken über dem Patienten, sah in die geöffnete Bauchhöhle und schien zu grübeln, wie man die verklebten Därme wieder auseinanderbekam. Mit dem Sauger war hier nichts mehr zu machen. Es blieben nur hoch dosierte Antibiotika und das Anlegen eines Drains, damit die Restflüssigkeit abfließen konnte. »Rosig sieht das alles nicht aus.«
»Wird er überleben?«
»Wenn wir fleißig beten und Gott uns zufällig hört, hat der alte Mann eine Chance.«
»Und Sie können nichts mehr tun?«
»Ich habe getan, was möglich war. Der geplatzte Appendix ist raus, die Bauchhöhle ist sauber. Was jetzt noch kommt – abwarten. Der Häuptling gehört eigentlich auf eine Intensivstation. Aber haben wir hier eine? Das ist der Nachteil eines einsames Paradieses; da hilft nur noch Gott. In Nuku'alofa hätte Tápana eine Chance. Hier ist eben alles anders.«
Dr. Rudeck zuckte die Schultern, warf einen Blick auf Tama'Olu und sah ihr erstarrtes Gesicht. Ach ja, sie kann ja etwas Englisch, fiel ihm ein. Sie hat alles verstanden. Man braucht ihr nichts mehr zu erklären.
»Schöne Frau«, sagte er fast väterlich, »glauben Sie mir: Ich hätte Ihnen gern etwas Erfreulicheres gesagt, aber da müßte ich lügen.«
Er warf noch einen letzten kontrollierenden Blick in die Bauchhöhle, legte den Drain an und begann dann, den Leib in Schichten zuzunähen. Der Atemsack fiel und blähte sich regelmäßig, die Kurven des EKGs sahen nicht besorgniserregend aus.
Jack Willmore injizierte Kreislaufstabilisatoren und schloß dann einen Tropf zur Auffüllung des Blutverlustes an.
»Der Häuptling hat ein gutes Herz«, sagte Dr. Rudeck, wandte sich zur Seite und sah Ron an. »Ein sehr stabiles Herz. Leider.«
Es war das Leider, das Ron wie ein Hammer traf.
12.
Während Willmore und Dr. Rudeck die Gummihandschuhe abstreiften und in einen Eimer warfen, der schon halb gefüllt war mit blutigen Tüchern und Tupfern, standen Ron und Tama'Olu nebeneinander vor dem narkotisierten Tápana und blickten auf das eingefallene Gesicht und den mit Jod eingepinselten Leib, der jetzt mit Binden umwickelt war.
»Er wird weiterleben, nicht wahr, Ovaku?« flüsterte Tama'Olu und lehnte sich an Rons Schulter.
»Ja«, antwortete er mit rauher Stimme. »Was wären wir ohne Hoffnung?«
»Meine Brüder werden ihn nach Hause tragen.«
»Das werden sie nicht tun!« Dr. Rudeck, der sich noch die Hände schrubbte, drehte sich um. »Er ist nicht transportfähig. Morgen vielleicht … Und mit den Füßen voraus auf jeden Fall, wenn Sie jetzt nicht auf mich hören.«
»Sie haben das Gemüt eines Elefanten, Doktor!« stieß Ron wütend hervor.
»Wenn ich's hätte, wäre ich ein schwieriger Mensch. Elefanten haben eine sehr sensible Seele. Nur ihre Haut ist dick. Das ist vielleicht das einzige, was ich von einem Elefanten übernommen habe: ein dickes Fell! Und das braucht man hier. Ein zartes Seelchen wird von der Umwelt sofort gefressen. Ron, Sie bilden sich ein, hier das Paradies entdeckt zu haben. Sie werden sich noch wundern, wie nahebei die Hölle ist! Ein Paradies ist nur ein Paradies, wenn keine Menschen darin leben! Schon drei genügen, und es gibt eine Keilerei. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Im Paradies leben zwei Männer und eine Frau. Ahnen Sie, was dann alles passiert? Einer der Herren wird plötzlich krank, verunglückt oder wird ganz einfach um die Ecke gebracht.«
»Sie sind ein gefährlicher Zyniker, Doktor«, sagte Ron und beugte sich über Tápana. Die Lider des Alten flatterten, der Mund klappte auf, in den Armen und Fingern begann ein Zucken. »Die Narkose läßt nach. Er kommt langsam wieder zu sich.«
»Na also, das haben wir wenigstens erreicht: Er wacht auf. Ich sage ja … ein starkes Herz wie ein Stier.« Dr. Rudeck kam an den Tisch, sah den Frischoperierten kurz an, blickte dann auf das noch immer angeschlossene EKG und die regelmäßigen, wenn auch etwas abgeflachten Kurven. »Mal sehen, wie lange er das durchhält.«
»Sie sind wirklich ein Dickhäuter!«
Dr. Rudeck trocknete die Hände an den mitgebrachten Handtüchern ab und wischte sich mit ihnen auch über das Gesicht.
Es war schwer zu taxieren, wie alt der Arzt war. Die Sonne hatte seine Haut gegerbt, die graugrünen Augen sprühten vor Leben. Seine Figur war kraftvoll, ohne daß er ein
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