Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
ist),
    29
    sondern ganz handfest in dunklen Farben und düsteren
    Schatten. Nichts ist falscher. Die Menschen des Mittel-
    alters lebten zwar in dunklen Umgebungen, in Wäldern,
    Burgen und engen Räumen, die kaum vom Kaminfeuer
    erhellt wurden, aber abgesehen davon, daß sie früh
    schlafen gingen und mehr dem Tag zugetan waren als der
    Nacht (die den Romantikern so teuer sein sollte), stellte
    das Mittelalter sich selbst in grellen Farben dar.
    Das Mittelalter identifizierte die Schönheit (außer mit
    der Proportion) mit dem Licht und den Farben, und diese
    Farben waren stets reine Grundfarben, eine Symphonie
    von Rot, Blau, Gold, Silber, Weiß und Grün, ohne
    Nuancen und ohne Helldunkel, in welcher der Glanz durch
    den Einklang des Ganzen entsteht, nicht durch ein Licht,
    das die Dinge von außen umhüllt oder die Farben über die
    Ränder der Figuren hinaustreten läßt. In den mittel-
    alterlichen Miniaturen scheint das Licht aus dem Innern
    der Dinge zu strahlen.
    Für Isidor von Sevilla ist Marmor schön wegen seiner
    weißen Farbe, Metall wegen des Lichts, das es reflektiert,
    und selbst die Luft ist schön und hat ihren Namen
    aer/aeris vom Erz, weil dessen Name aes/aeris sich vom Glanz des aurum , also des Goldes herleite (tatsächlich schimmert sie wie Gold, sobald Licht auf sie trifft).
    Edelsteine sind schön wegen ihrer Farbe, denn Farbe ist
    nichts anderes als eingefangenes Sonnenlicht und puri-
    fizierte Materie. Augen sind schön, wenn sie strahlen, und
    am schönsten sind blaugrüne Augen. Zu den ersten
    Eigenschaften eines schönen Körpers gehört die rosige
    Haut. Bei den Dichtern ist dieser Sinn für die leuchtenden
    Farben stets präsent, Gras ist grün, Blut rot, Milch
    schneeweiß, eine schöne Frau hat für Guinizelli ein
    »Antlitz von Schnee, karmesinrot gefärbt« (um nicht von
    Petrarcas späteren »klaren, frischen und süßen Wassern«
    30
    zu sprechen), die mystischen Visionen der Hildegard von
    Bingen führen uns gleißende Flammen vor Augen, und
    selbst die Schönheit des ersten gefallenen Engels verdankt
    sich edlen Steinen, die wie der gestirnte Himmel funkeln,
    so daß die unzählige Menge der Funken, die in der Pracht
    seiner Ornamente erglänzen, die Welt mit Licht erfüllt.
    Die gotische Kathedrale wird von messerscharfen
    Lichtstrahlen durchschnitten, die durch die bunten Fenster
    eindringen, um das Göttliche in die sonst dunklen
    Kirchenschiffe zu lassen, und genau um diesen Licht-
    bahnen Raum zu geben, wird der Platz für die Fenster und
    die Rosetten vergrößert, die Mauern verschwinden bei-
    nahe in einem Spiel von Strebepfeilern und Stützbögen,
    und der ganze Bau ist darauf angelegt, den Einfall des
    Lichts durch ein Gitterwerk durchbrochener Strukturen zu
    ermöglichen.
    Johan Huizinga erinnert in seiner Analyse der spät-
    mittelalterlichen Ästhetik an die Begeisterung des
    Chronisten Froissart für die Schönheit vollaufgetakelter
    Schiffe mit ihren flatternden Fahnen und langen Wimpeln
    und farbenprächtigen, in der Sonne schimmernden
    Wappen, für das Glitzern der Sonnenstrahlen auf Helmen,
    Harnischen, Lanzenspitzen, Federbüschen und Bannern
    eines heranziehenden Reitertrupps; oder, bei den Farben
    der Wappen, an die Vorliebe für Kombinationen von
    Blaßgelb und Blau, Orange und Weiß, Orange und Rosa,
    Rosa und Weiß oder Schwarz und Weiß; oder auch an die
    Beschreibung einer jungen Dame, die in violetter Seide
    auf einem Zelter mit blauseidener Schabracke erscheint,
    geleitet von drei Männern in karmesinroter Seide mit
    Kappen aus grüner Seide.
    Ursprung dieser Leidenschaft für das Licht waren
    theologische Denkfiguren alt- und neuplatonischer Her-
    kunft (das höchste Gut als Sonne der Ideen, die einfache
    31
    Schönheit einer Farbe, ausgehend von einer Form, die das
    Dunkel der Materie beherrscht, die Schau Gottes als Licht,
    als Feuer, als Leuchtende Quelle). Die Theologen machten
    das Licht zu einem metaphysischen Prinzip, und da sich in
    denselben Jahrhunderten unter dem Einfluß der Araber die
    Optik entwickelte, kam es zu Reflexionen über die Wun-
    der des Regenbogens und der Spiegel (die auch ein
    paarmal geheimnisvoll flimmernd im Paradiso auf-
    tauchen).
    Dante hat also seine Poetik des Lichts nicht erfunden, als
    er mit einem für die Dichtung sperrigen Material
    experimentierte. Er hat sie rings um sich her vorgefunden
    und neuformuliert für ein Publikum, das für Licht und
    Farbe eine Leidenschaft hatte. Einer der

Weitere Kostenlose Bücher