Die Bücher und das Paradies
jagt«
(mir scheint, hier denkt der jüdische und messianische
Marx an den Anfang der Genesis), wie sie ferne Länder
erobert und umwälzt, denn »die wohlfeilen Preise ihrer
Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle
chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den
hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation
zwingt«, wie sie die Städte als Zeichen und Fundament
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ihrer Macht gründet, wie sie sich multi- und internationali-
siert, sich globalisiert und nicht nur einen Weltmarkt
erzeugt, sondern sogar eine aus den vielen nationalen Li-
teraturen zusammengeschweißte »Weltliteratur« erfindet.2
Am Ende dieser Eloge (die überzeugt, weil sie von ehr-
licher Bewunderung erfüllt ist) kommt eine dramatische
Wende: Der Hexenmeister sieht sich außerstande, die von
ihm heraufbeschworenen unterirdischen Kräfte zu be-
herrschen, der Sieger erstickt an seiner eigenen Über-
produktion und ist gezwungen, aus sich selbst heraus, als
sein ureigenstes Produkt, seinen eigenen Totengräber zu
erzeugen: das Proletariat.
So tritt diese neue Kraft auf den Plan: Anfangs noch
uneinig und konfus, macht sie sich Luft im Zerstören der
Maschinen und wird von der Bourgeoisie als Rammbock
2 Als ich diesen Artikel schrieb, sprach man selbstverständlich bereits von Globalisierung, und ich habe den Ausdruck nicht
zufällig benutzt. Aber heute, seit wir alle für das Problem
sensibilisiert worden sind, lohnt es sich wirklich, diese Seiten wiederzulesen. Es ist beeindruckend, wie das Manifest mit einem Vorlauf von hundertfünfzig Jahren sowohl die Ära der
Globalisierung als auch die von ihr entfesselten Gegenkräfte
vorausgesehen hat. Als wollte es uns bedeuten, daß die
Globalisierung kein zufälliges Ergebnis der kapitalistischen
Expansion ist (bloß weil die Mauer gefallen und das Internet
gekommen ist), sondern das von Anfang an vorbestimmte Ziel, das anzustreben die neue Klasse gar nicht vermeiden konnte, auch
wenn damals der bequemste Weg zur Ausweitung der Märkte
(wenn auch der blutigste) noch die Kolonisierung war.
Bedenkenswert ist auch (zumal für die Globalisierungsgegner aller Farben) der Hinweis darauf, daß jede alternative Kraft, die sich dem Vormarsch der Globalisierung entgegenstellt, zu Anfang
uneinig und konfus auftritt, zur bloßen Maschinenstürmerei neigt und vom Gegner zum Kampf gegen seine Feinde benutzt werden
kann.
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im Kampf gegen deren Feinde benutzt, also gegen die
Feinde ihres Feindes (die absoluten Monarchien, die
Grundeigentümer, das Kleinbürgertum); allmählich nimmt
sie Teile ihrer Gegner in sich auf, die von der Groß-
bourgeoisie proletarisiert werden, wie die Handwerker, die
Händler, die landbesitzenden Bauern, der Aufstand wird
zum organisierten Kampf, die Arbeiter nehmen unter-
einander Kontakt auf dank einer anderen Macht, welche
die Bourgeoisie für ihre eigenen Zwecke erfunden hat,
nämlich die neuen Kommunikationsmittel. Das Manifest
nennt hier nur die Eisenbahnen, aber es denkt auch an die
neuen Massenkommunikationen (und vergessen wir nicht,
daß Marx und Engels in der Heiligen Familie das Fern-
sehen der Epoche, nämlich den populären Fortsetzungs-
roman, als Modell der kollektiven Vorstellungswelten zu
nehmen wußten und anhand der Sprache und der
Situationen, die er verbreitet hatte, seine Ideologie kriti-
sierten).
An diesem Punkt treten die Kommunisten auf. Doch
bevor programmatisch erklärt wird, was sie sind und was
sie wollen, stellt sich das Manifest (mit einer brillanten rhetorischen Volte) auf den Standpunkt der sie fürchten-den Bourgeois und bringt ein paar schreckenerregende
Fragen vor: Wollt ihr etwa das Eigentum abschaffen?
Wollt ihr etwa die Weibergemeinschaft einführen? Wollt
ihr die Religion, das Vaterland, die Familie zerstören?
Hier wird das Spiel raffiniert, denn auf all diese Fragen
scheint das Manifest beruhigende Antworten zu geben, als wollte es den Gegner beschwichtigen – um ihn dann, nach
einer überraschenden Wendung, in die Magengrube zu
treffen und den Applaus des proletarischen Publikums zu
genießen … Wir wollten das Eigentum abschaffen? Aber
nein, die Eigentumsverhältnisse sind doch seit jeher
Veränderungen unterworfen gewesen – hat die Franzö-
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sische Revolution etwa nicht das Feudaleigentum zugun-
sten des bürgerlichen abgeschafft? Wir wollten das
Privateigentum abschaffen? Ach Unsinn, das existiert
doch gar nicht mehr, in der
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