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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wir
    nichts anderes tun. Wer die Flachheit jener Karten
    kritisiert, könnte ebensogut die Flachheit unserer heutigen
    Weltatlanten kritisieren. Es handelte sich um eine naive
    und konventionelle Projektion. Aber wir müssen auch
    noch andere Elemente bedenken.
    Das Mittelalter war eine Zeit großer Reisen, doch wegen
    der schlechten Straßen, der zu durchquerenden Wälder
    und der auf schwankenden Booten zu überwindenden
    Meeresarme war es nicht möglich, genaue Karten zu
    zeichnen. Sie waren bloß ungefähre Anhaltspunkte, wie
    die Wegbeschreibungen der Pilgerführer nach Santiago de
    Compostella, und sie besagten soviel wie:
    »Wenn du von Rom nach Jerusalem willst, halte dich in
    südlicher Richtung und frag dich durch.« Denken wir an
    die Karten der Bahnlinien, die wir in Eisenbahnfahrplänen
    finden. Niemand könnte aus solch einer Reihe von
    Knotenpunkten, die an sich sehr klar ist, wenn man zum
    Beispiel von Mailand nach Livorno will (und erfährt, daß
    man über Genua muß) exakte Auskünfte über die Form
    Italiens ableiten. Die exakte Form Italiens interessiert
    nicht, wenn man zum Bahnhof muß.
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    Die Römer hatten zahlreiche Straßen gebaut, die alle
    Städte der bekannten Welt miteinander verbanden, aber
    dargestellt wurden diese Straßen auf jener Karte, die man
    nach dem Namen ihres Finders im 16. Jahrhundert die
    Peutingeriana nennt. Darauf sind sehr gewissenhaft alle
    Straßen des Römischen Reiches verzeichnet, aber
    schematisch zusammengedrängt in zwei Streifen, einem
    oberen, der Europa darstellen soll, und einem unteren für
    Afrika, und das dazwischen liegende Mittelmeer erscheint
    wie ein schmales Flüßchen. Wir haben es mit dem
    gleichen Sachverhalt wie bei der Fahrplankarte zu tun.
    Nicht die Form der Kontinente interessiert, sondern allein
    die Information, daß eine bestimmte, so und so lange
    Straße von Marseille nach Genua führt. Dabei sind die
    Römer seit den Punischen Kriegen kreuz und quer übers
    Mittelmeer gefahren und wußten sehr wohl, daß es nicht
    jenes Rinnsal war, das man auf der Karte sieht.
    Im übrigen waren die mittelalterlichen Reisen oft
    imaginär. Das Mittelalter hat Enzyklopädien hervor-
    gebracht, sogenannte Imagines Mundi , die vor allem den Geschmack am Wunderbaren befriedigen sollten, indem
    sie von fernen, unerreichbaren Ländern erzählten, aber
    verfaßt waren all diese Bücher von Leuten, die die Orte,
    von denen sie sprachen, nie gesehen hatten, denn die Kraft
    der Überlieferung zählte mehr als die Erfahrung. Manche
    Weltkarten jener Epoche sollten gar nicht die Form der
    Erde darstellen, sondern die Städte aufzählen und die
    Völker benennen, denen man dort begegnen konnte.
    Zudem war die symbolische Darstellung wichtiger als die
    empirische, und oft lag dem Kartographen viel mehr da-
    ran, Jerusalem genau in der Mitte der Karte zu zeichnen,
    als anzugeben, wie man nach Jerusalem gelangte. Schließ-
    lich, letzte Überlegung, die mittelalterlichen Karten hatten
    keine wissenschaftliche Funktion, sondern bedienten den
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    Wunsch des Publikums nach Fabelhaftem, so ähnlich,
    würde ich sagen, wie uns heute bunte Hochglanzmagazine
    die Existenz von fliegenden Untertassen beweisen und im
    Fernsehen erzählt wird, daß die Pyramiden von einer
    außerirdischen Zivilisation erbaut worden seien. Noch in
    der Nürnberger Chronik , die immerhin von 1493 ist, oder im folgenden Jahrhundert in den Atlanten von Ortelius
    sind auf den Karten seltsame Monster zu sehen, welche
    man für die Bewohner jener Gegenden hielt, die bereits
    kartographisch akzeptabel dargestellt waren.
    Vielleicht waren die mittelalterlichen Menschen karto-
    graphisch naiv, aber viele neuzeitliche Historiker sind
    noch naiver gewesen und haben ihre Projektionskriterien
    nicht zu interpretieren verstanden.
    Eine Fälschung, die den Gang der Weltgeschichte
    verändert hat? Die Konstantinische Schenkung. Seit
    Lorenzo Valla wissen wir, daß die Urkunde des
    Constitutum nicht echt war. Und doch hätte ohne dieses Dokument, ohne den tiefen Glauben an seine Echtheit die
    europäische Geschichte einen anderen Verlauf genommen,
    es hätte keinen Investiturstreit gegeben, keinen tödlichen
    Kampf um das Heilige Römische Reich, keine weltliche
    Macht der Päpste, keine Ohrfeige von Anagni, aber auch
    keine Sixtinische Kapelle – die zwar errichtet wurde,
    nachdem die Fälschung entlarvt worden war, aber nur
    errichtet werden konnte, weil man das Dokument
    jahrhundertelang für echt

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