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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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auch für sie kugelrund war)
    sehr viel größer sei, als der Genueser glaubte, weshalb es
    verrückt sei, sie umsegeln zu wollen, um den Osten über
    den Westen zu erreichen. Kolumbus dagegen, von
    heiligem Eifer erfüllt und ein guter Seemann, aber ein
    miserabler Astronom, hielt die Erde für kleiner, als sie
    war. Natürlich dachten weder er noch die Gelehrten von
    Salamanca, daß zwischen Europa und Asien ein weiterer
    Kontinent lag. Woran wir wieder einmal sehen, wie
    kompliziert das Leben ist und wie dünn die Grenzen
    zwischen Wahrheit und Irrtum, richtig und falsch; denn
    Kolumbus, der unrecht hatte, hat seinen Irrtum hartnäckig
    338
    verfolgt und am Ende recht behalten
    – durch einen
    Glücksfall, ein Musterbeispiel an serendipity.
    Werfen wir jedoch einen Blick in Andrew Dickson
    Whites monumentale History of the Warfare of Science
    With Theology in Christendom (New York, Appleton,
    1896). Zwar will der Autor in diesen zwei dicken Bänden
    alle Fälle behandeln, in denen das religiöse Denken die
    Entwicklung der Naturwissenschaften verzögert hat, aber
    da er ein wohlinformierter und ehrlicher Mann ist, kann er
    nicht übersehen, daß Augustinus, Albertus Magnus und
    Thomas von Aquin sehr wohl wußten, daß die Erde rund
    ist. Dennoch behauptet er, um diese Ansicht vertreten zu
    können, hätten sie gegen das herrschende theologische
    Denken ankämpfen müssen. Das herrschende theologische
    Denken wurde aber gerade von Augustinus, Albertus
    Magnus und Thomas verkörpert, so daß sie gegen
    niemanden anzukämpfen brauchten.
    Jeffrey B. Russell weist auch darauf hin, daß in einem
    seriösen Text wie dem von F. S. Marvin, erschienen 1921
    in den von Charles J. Singer herausgegebenen Studies in
    the History and in the Method of Sciences , wiederholt
    wird, »die Karten des Ptolemäus … waren im Westen
    tausend Jahre lang vergessen«, daß in einem Geographie-
    Handbuch von 1988 (A. Holt-Jensen, Geography: History
    and Concepts ) zu lesen steht, die mittelalterliche Kirche habe gelehrt, daß die Erde eine flache Scheibe mit
    Jerusalem in der Mitte sei, und daß selbst Daniel Boorstin
    in seinem vielgerühmten Buch The discoverers von 19836
    behauptet, vom vierten bis zum vierzehnten Jahrhundert
    habe die Christenheit das Wissen um die Kugelgestalt der
    Erde unterdrückt.

    6 Dt.
    Die Entdecker , Basel/Stuttgart, Birkhäuser, 1985 (A. d. Ü.).
    339

    Wie konnte sich die Vorstellung verbreiten, das Mittel-
    alter habe die Erde als eine flache Scheibe betrachtet? Wir
    haben gesehen, daß Isidor von Sevilla die Länge des
    Äquators berechnet hatte, aber gerade in seinen Manu-
    skripten taucht ein Diagramm auf, das viele Darstellungen
    unseres Planeten inspiriert hat, die sogenannte T-Karte:

    Die Struktur der T-Karte ist sehr einfach: Der Kreis stellt
    den Planeten dar, zwei Linien in Form eines T trennen die
    obere Hälfte von zwei Vierteln in der unteren Hälfte. Der
    obere Halbkreis stellt Asien dar, mit dem Osten oben,
    denn im Osten Asiens lag der Legende nach das Irdische
    Paradies; der horizontale Strich stellt links das Schwarze
    Meer und rechts den Nil dar, der vertikale das Mittelmeer,
    weshalb das linke Viertel Europa darstellt und das rechte
    Afrika. Rings um das Ganze legt sich der große Kreis des
    Okeanos.
    Wollten diese Karten etwa besagen, daß die Erde eine
    flache Scheibe sei?
    In einer Handschrift des Liber floridus von Lambertus von St. Omer aus dem 12. Jahrhundert gibt es ein Bild des
    Kaisers, der eine Scheibe in der Hand hält, auf der eine
    Weltkarte in T-Form gezeichnet ist. Nicht zufällig er-
    scheint diese Karte als Herrschaftssymbol in der Hand
    eines Kaisers. Sie hat symbolischen, nicht geographischen
    Wert. Mit einem bißchen guten Willen könnte man darin
    auch statt einer Scheibe die schematische Darstellung
    340
    einer Erdkugel sehen, wie sie auf anderen Bildern
    vorkommt.
    Den Eindruck von Scheiben machen allerdings die
    Weltkarten in den Apokalypsen-Kommentaren des Beatus
    von Liébana, einem im achten Jahrhundert verfaßten Text,
    der jedoch in den folgenden Jahrhunderten, illustriert von
    mozarabischen Miniaturenmalern, großen Einfluß auf die
    Kunst der romanischen Abteien und der gotischen Kathe-
    dralen hatte, und T-Karten finden sich auch in zahllosen
    anderen illuminierten Handschriften.
    Wie war es möglich, daß Leute, die die Erde für eine
    Kugel hielten, Karten zeichneten, auf denen eine flache
    Erde zu sehen war? Die erste Erklärung ist, daß auch

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