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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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gehalten hatte.
    In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts war im
    Abendland ein Brief aufgetaucht, der detailliert berichtete,
    daß im fernen Morgenland, jenseits der von Muslimen
    bewohnten Gebiete, jenseits der Länder, welche die
    Kreuzritter aus der Herrschaft der Ungläubigen zu
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    befreien versucht hatten, die aber inzwischen unter jene
    Herrschaft zurückgekehrt waren, ein christliches Reich
    blühe, das von einem märchenhaften Priester oder Pres-
    byter Johannes regiert werde, der sich als »Herr der
    Herrschenden kraft der Macht und Herrlichkeit Gottes und
    Unseres Herrn Jesus Christus« bezeichne. Darin stand
    unter anderem zu lesen:
    wisse und glaube zweifelsfrei, daß ich, der Priester Johannes, Herr der Herrschenden bin und in allen Reichtümern, die es unter dem Himmel gibt, sowie an Tugend und Macht alle Könige der
    Erde übertreffe. Zweiundsiebzig Könige sind Uns tributpflichtig.
    Ich bin ein frommer Christ und schütze überall die wahren
    Christen, die vom Imperium meiner Milde regiert werden, und
    unterstütze sie mit Almosen […]
    Unsere Herrschaft erstreckt sich über die drei Indien, bis zum Jenseitigen Indien, wo der Leib des Apostels Thomas ruht, unsere Lande reichen bis in die Wüste und weiter bis zu den Grenzen des Ostens und kehren zurück in den Westen bis in das verödete
    Babylon nahe dem Turm zu Babel […] In Unserem Reich werden
    geboren und leben Elefanten, Kamele, Dromedare, Flußpferde,
    Krokodile, Methagallinare, Kametheternen, Thinsireten, Panther, Wildesel, weiße und rote Löwen, weiße Bären und weiße Amseln,
    stumme Zikaden, Greife, Tiger, Lamien, Hyänen, wilde Rinder,
    Bogenschützen, wilde Menschen, gehörnte Menschen, Faune,
    Satyrn und Weiber derselben Art, Pygmäen, Kynozephalen,
    vierzig Ellen hohe Giganten, Einäugige, Zyklopen, ein Vogel
    namens Phönix und fast alle Arten von Tieren unter dem
    Himmelsgewölbe […] Durch eine unserer Provinzen fließt ein
    Fluß namens Indus. Dieser Fluß, der aus dem Paradies kommt,
    breitet seine Mäander durch verschiedene Arme über die ganze
    Provinz aus, und man findet in ihm Edelsteine: Smaragde, Saphire, Karfunkel, Topase, Chrysolythe, Onyxe, Berylle, Amethyste,
    Sarder und viele andere wertvolle Steine […]
    In den äußersten Regionen der Erde […] besitzen Wir eine Insel
    […] auf welche Gott das ganze Jahr über zweimal pro Woche
    reichlich Manna regnen läßt, das die Leute dort aufsammeln und essen, sie leben von keiner anderen Speise. Tatsächlich pflügen sie nicht und säen nicht und ernten nicht, auch bewegen sie in keiner Weise die Erde, um ihr die reichsten Früchte zu entnehmen […]
    All jene, die sich nur von himmlischer Speise ernähren, leben
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    fünfhundert Jahre. Wenn sie jedoch ins Alter von hundert Jahren gelangt sind, werden sie wieder jung und kräftig, indem sie
    dreimal vom Wasser einer Quelle trinken, die an der Wurzel eines dort stehenden Baumes entspringt […] Niemand unter uns lügt
    […] Unter uns gibt es keine Ehebrecher. Kein Laster herrscht bei uns.7
    Übersetzt und mehrfach paraphrasiert im Laufe der
    folgenden Jahrhunderte hat der Brief, in verschiedenen
    Sprachen und Versionen, bis zum 17. Jahrhundert ent-
    scheidende Bedeutung für die Expansion des christlichen
    Abendlandes nach Osten gehabt. Die Idee, daß jenseits der
    muslimischen Länder ein christliches Reich existieren
    könnte, legitimierte sämtliche Erkundungs- und Erobe-
    rungszüge. Vom Priester Johannes sprachen die Asien-
    reisenden Giovanni de Piano Carpini, Wilhelm von
    Rubrouk und Marco Polo. Um die Mitte des 16. Jahr-
    hunderts verlagerte sich das Reich des Priesters Johannes
    aus einem unbestimmten Fernen Osten nach Äthiopien, als
    die portugiesischen Seefahrer das afrikanische Abenteuer
    in Angriff nahmen. Kontakte mit dem Priesterkönig
    suchten im 15. Jahrhundert Englands Heinrich IV., der
    Duc de Berry und Papst Eugen IV. In Bologna diskutierte
    man noch zur Zeit der Krönung Karls V. über Johannes als
    möglichen Verbündeten für eine Wiedereroberung des
    Heiligen Grabes.

    7 Zitiert nach Gioia Zaganelli, La lettera del Prete Gianni , Parma, Pratiche, 1990, s. dort auch die folgenden Überlegungen [vgl. die deutschen Ausgaben: Ulrich Knefelkamp, Die Suche nach dem
    Reich des Priesterkönigs Johannes , Gelsenkirchen, Verlag Andreas Müller, 1986, sowie Gerd-Klaus Kahenbrunner, Jobannes ist sein Name: Priesterkönig, Gralshüter, Traumgestalt , Zug/
    Schweiz, Die Graue Edition, Schriften zur

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