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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Yates bemerkt9, gehörte es
    zum gewöhnlichen Verhalten rosenkreuzerischer Autoren
    zu behaupten, nicht nur sie selbst seien keine Rosen-
    kreuzer, sondern sie seien auch noch niemals einem
    einzigen Mitglied der Bruderschaft begegnet.
    Jedenfalls verbrachten Johann Valentin Andreae und alle
    seine Freunde des Tübinger Kreises, die sofort verdächtigt
    wurden, die Autoren der Manifeste zu sein, ihr weiteres
    Leben damit, die Sache entweder zu leugnen oder sie als
    einen literarischen Scherz, eine Art Studentenulk abzutun.
    Im übrigen gibt es nicht nur keine historischen Beweise
    für die Existenz der Rosenkreuzer, sondern es kann auch
    per definitionem gar keine geben. Noch heute steht in den
    offiziellen Dokumenten des AMORC ( Anticus and
    Mysticus Ordo Rosae Crucis , dessen reich mit ägyptischer Ikonographie geschmückten Tempel man im kalifor-9 Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes , Stuttgart, Klett, 1975.
    348
    nischen San José besichtigen kann), daß die ursprüng-
    lichen Dokumente, die den Orden legitimieren, zwar
    vorhanden seien, aber aus verständlichen Gründen geheim
    und in unzugänglichen Archiven eingeschlossen bleiben
    müßten.
    Doch uns interessieren hier weniger die heutigen
    Rosenkreuzer, die Folklore sind, sondern die historischen.
    Seit dem Erscheinen der beiden Manifeste gab es immer
    wieder Streitschriften gegen sie, in denen die Bruderschaft
    angegriffen und mit diversen Vorwürfen überhäuft wurde,
    besonders dem der Fälschung und der Scharlatanerie. 1623
    tauchten in Paris anonyme Plakate auf, die verkündeten,
    daß die Rosenkreuzer ihren Sitz in die Stadt verlegt hätten,
    und diese Mitteilung entfesselte wütende Polemiken
    seitens katholischer ebenso wie libertärer Kreise; das
    Gerücht, die Rosenkreuzer seien Satansanbeter, wurde in
    einer anonymen Schrift namens Effroyables pactions faites
    entre le diable et lesprétendus invisibles von 1623
    verbreitet. Sogar Descartes, der während einer Deutsch-
    landreise angeblich versucht hatte, sich mit ihnen in
    Verbindung zu setzen, wurde bei seiner Rückkehr nach
    Paris verdächtigt, ein Mitglied der Bruderschaft zu sein,
    und rettete sich mit einem Meisterstreich: Da die Rosen-
    kreuzer allgemein als unsichtbar galten, ließ er sich bei
    möglichst vielen öffentlichen Gelegenheiten sehen und
    entkräftete so das Gerede über ihn, wie Baillet in seiner
    Vie de Monsieur Descartes erzählt. Ein gewisser Heinrich Neuhaus veröffentlichte zuerst in Danzig auf lateinisch
    und dann 1623 in Paris auf französisch ein Advertissement
    pieux et utile des frères de la Rose-Croix , in dem er sich fragte, ob es die Rosenkreuzer gebe, wer sie seien, woher
    sie ihren Namen genommen hätten und zu welchem
    Zweck sie ihre Existenz öffentlich bekanntgemacht hätten;
    und er schließt mit dem außerordentlichen Argument:
    349
    »Gerade daß sie ihre Namen wechseln und verbergen, daß
    sie ihr Alter verschleiern, daß sie nach eigenem Bekunden
    daherkommen, ohne sich kenntlich zu machen, erlaubt
    keinem Logiker zu verneinen, daß sie notwendig in natura
    existieren müssen.«
    Wie man sieht, genügte ein beliebiger Aufruf zu einer
    spirituellen Reform der Menschheit, um die paradoxesten
    Reaktionen auszulösen, als hätten alle auf ein ent-
    scheidendes Ereignis gewartet.
    Jorge Luis Borges erzählt in »Tlön, Uqbar, Orbis
    Tertius« von einem unwahrscheinlichen Land, das in einer
    unauffindbaren Enzyklopädie beschrieben worden sei. Bei
    den Recherchen über dieses Land ergibt sich durch andere
    vage Indizien, ausgehend von Texten, die einander gegen-
    seitig plagiieren, daß es sich bei dem gesuchten Land in
    Wirklichkeit um einen ganzen Planeten handelt, »mit
    seinen Bauwerken und seinen Kriegen, mit dem Schrecken
    seiner Mythologien und dem Gemurmel seiner Sprachen,
    mit seinen Kaisern und seinen Meeren, mit seinen
    Mineralien und seinen Vögeln und seinen Fischen, mit
    seiner Algebra und seinem Feuer, mit seinen theolo-
    gischen und metaphysischen Kontroversen«. Dieses Ge-
    bilde ist »das Werk einer Geheimgesellschaft von Astro-
    nomen, Biologen, Ingenieuren, Metaphysikern, Dichtern,
    Chemikern, Algebraikern, Moralisten, Malern und Geo-
    metern … unter der Leitung eines im Dunkel gebliebenen
    Genies«.
    Wir haben es mit einer typischen Borges-Erfindung zu
    tun: der Erfindung einer Erfindung. Aber Borges-Leser
    wissen, daß er niemals etwas erfunden hat – noch seine
    paradoxesten Geschichten ergeben sich aus einer
    Neulektüre der

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